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362 Psychische Studien. XKV. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1898.)
kommend und in ihn zurückkehrend, zu einem leuchtenden
Sterne wird, so lange sie den Luftkreis der Erde ritzt, so
wir Menschen: wer weiss, wo wir Menschen gebildet wurden,
woher wir kommen und wohin wir zurückkehrend weiter
fliegen ?u — Bölsche schliesst: — „Nicht leicht kann das
Dunkle und das Helle individuellen Menschenlebens schöner
in einen Satz gefasst werden. Aber die Sternschnuppen sind
sich doch nicht gleich. Die Astronomen erzählen uns doch
von einzelnen, die so hell waren, dass man sie selbst am
lichten Tage sah. Und im vollen Blau des Sonnenhimmels
blieb, als sie schwanden, noch eine lange Weile ein goldener
Streifen stehen.'* — Ebenso schön ist noch folgende Stelle,
worin Bölsche von Amerika spricht, — „dem Erdtheil, der
vor 400Jahren der Oulturmenschheit wie eine neue, ungeheuere
Fläche aufgetaucht ist jenseits eines Horizonts, den Jahrtausende
für das Weltende gehalten hatten. Im Grunde ist
die ganze Cuiturgeschichte nichts Anderes als eine solche
ewige Wanderung nach dem Horizont, eine ewige Erkennt-
niss, dass jeder Horizont ein offenes Thor ist und keine
Mauer, mit der eine blaue Orystailgiocke [für unsere unzureichenden
Sinne nämlich!] die ewige Bewegung der Dinge
und der Gedanken hemmt. Alle die grossen Wendepunkte,
die sich im Gedächtniss der Völker erhalten haben, sind
Momente der Ueberwindung eines Horizonts gewesen, —
manchmal grell, wie wenn ein Wanderer plötzlich die
Wasserscheide eines Gebirgskammes überklettert, der bisher
die Aussicht begrenzt hat; manchmal blos deshalb sanfter,
weil die Gegenstände sich fast unmerklich verschoben bis
zu dem Augenblick der Ahnung, dass diese jetzt sichtbaren
Formen unmöglich schon in der ursprünglichen Fernsicht
enthalten sein konnten. . . Wir achten auf einzelne starke
Individualitäten, die in einer äussersten Höhenleistung
menschlicher Kraft, wie von der steilsten, freiesten Warte
ihrer Zeit aus, den ganzen Horizont einer bestimmten
Entwicklungsstufe in sich umfassen, ihn hell entrollen bis
in das fernste dämmerblaue Waldthai hinein. Eines Tages
sehen wir eine solche riesige Persönlichkeit wieder verschwinden
, hinabgesunken in das Mysterium des Todes.
Eine neue Generation, eine Folge von solchen wächst auf.
Und wieder hebt sich eine jener umfassenden Individualitäten
grössten Stiles aus der Menge. Was sie umfasst, ist aber
jetzt ein neuer Horizont Es wird nahe liegen, dass bei
solcher Betrachtungsweise ein Datum aus dem persönlichen
Leben Einzelner unter Umständen einen wichtigeren Mark-
stein bilden kann als die grösste Entdeckung oder Erfindung.«
— Im Vorhergehenden erhalten wir neue überraschende
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