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Krasnicki: Ein Beitrag zum Kapitel „Hallucinationen.u 371
Grade erregte, als dies beim ersten der Fall gewesen war.
Wir kamen eines Abends, wie gewöhnlich, gegen 11 Uhr
in unser Schlafzimmer, und ich begab mich, wie ich das
jeden Abend zu thun pflege, mit der Lampe in der Hand
in das anstossende Zimmer, um dort Fenster und Thüre
zu schliessen und die Jalousien herabzulassen, während
meine Frau in dem während dieser kurzen Zeit völlig
finsteren Schlafzimmer zurückblieb. Als ich in's Schlafzimmer
zurückkam, sah ich meine Frau unbeweglich dastehen
, die Hände ruhig auf dem Kopfe, (da sie eben im
Begriffe war, sich das Haar zurecht zu machen,) den Blick
unverwandt nach dem Alkoven zu gerichtet. Und wieder
bemerkte' ich an ihr die eigenthümlich verblüffte Miene, die
ich damals im Garten beobachtet hatte. Ich fragte sie
daher in etwas humoristischer Weise: — „So, so! Du siehst
schon wieder was? Nicht wahr?" — Jetzt erst kam wieder
Leben und Bewegung in sie, doch stellte sie anfangs in
Abrede, etwas gesehen zu haben. Da ich aber an ihrer
Verlegenheit bemerkte, dass denn doch etwas passirt sein
müsse, so Hess ich von meinen Fragen nicht ab, und
schliesslich gestand sie mir, dass sie, während ich im Nebenzimmer
gewesen, eine ihr fremde ältere Frau im Zimmer
stehen gesehen habe. Wiederum erzählte sie, was das für
ein ganz eigenthümliches Sehen sei, das sie mit Worten gar
nicht recht schildern könne. Es sei doch im Zimmer ganz
finster gewesen, und trotzdem hätte sie die Gestalt ganz
scharf und deutlich auf den Stufen zum Alkoven stehen
gesehen. Besonders merkwürdig sei es, dass sie eigentlich
nicht angeben könne, ob sich die Gestalt vor oder hinter
dem Vorhange vor dem Alkoven befunden habe; es komme
ihr so vor, als ob bei solchen Erscheinungen die gewöhnlichen
materiellen Sehhindernisse gar keine Rolle spielten;
sie hätte das Gefühl gehabt, als ob die Gestalt gar nicht
in die Umgebung hineingehöre, in welcher sie erschien, und
als ob sie eigentlich dort gar nicht wäre, wo sie zu stehen
schien. Sie verglich diese Empfindung mit jener, die man
etwa bei der Betrachtung einer Photographie hat, auf
welcher das Bild einer Person aus einer anderen Aufnahme
in ungeschickter Weise eingeflickt wurde, so dass diese
Gestalt in Folge der verschiedenen Schärfe, Beleuchtung,
nicht stimmender Details u. s. w. von der Umgebung, in
welcher man sie erblickt, losgelöst und gar nicht da hinein
passend erscheint. — Die mysteriöse Dame schien ihr von
hoher Statur, auffallend korpulent, mit gebogener Nase,
das Haar in der Mitte nach abwärts gescheitelt, dunkel
gekleidet, nach der gegen die Mitte dieses Jahrhunderts
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