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402 Psychische Studien* XXV. Jahrg. 8. Heft. (August 1898.)
Das Uebersinnliche in der deutschen Litteratur
unseres Jahrhunderts.
Von Dr. Richard Wedel in München.
(Fortsetzung von Seite 334 )
Hebbel hat vor allem die visionäre Begeisterung des
Dichters, die er wohl an sich selber erfuhr, zu einer gross-
artigen Episode seiner Nibelungentragödie verwerthet. Am
Beginne des vierten Aktes von — „Kriemhii<V$ Rache" —
sitzen Hagen und Volker vor dem Palaste und bewachen den
Schlaf der burgundischen Helden. Da geigt Volker auf
seiner Fidel und begleitet sein Spiel, ohne auf Hagen zu
achten, visionär: —
Schwarz war's zuerbt! Es blitzte nur bei Nacht,
Wie Katzen, wenn man sie im Dunkeln streicht,
Und das nur, wenn's ein Aufschlag spaltete;
Da rissen sich zwei Kinder um ein Stück,
Sie warfen sich in ihrem Zorn damit,
Und eines traf das andere zu Tod.
Ragen (gleicbgiltig): —
Er fängt was Neues an, nur zu, nur zu!
Volker \ —
Nun ward es feuergelb, es funkelte,
Und wer's erblickte, der begehrte sein
Und liess nicht ab.
Hagen: —
Dies hab' ich nie'gehört! —
Er träumt wohl! Alles andre kenn' ich ja!
Volkerl —
Da gab es wildern Streit und gift'gern Neid,
Mit allen Waffen kommen sie, sogar
Dem Pflug entreissen sie das fromme Eisen
Und tödten sich damit.
Hagen (immer anfmerksamer): —
Was meint er nur?
Volker x —
In Strömen rinnt das Blut, und wie's erstarrt,
Verdunkelt sich das Gold, um das es floss,
Und strahlt in heilerm Schein.
Hagen: —
Ho, ho! Das Gold!
Volker: —
Schon ist es roth, und immer röther wird's
Mit jedem Mord. Auf, auf, was schont ihr euch?
Erst, wenn kein Einziger mehr am Lehen ist,
Erhält's den rechten Glanz, der letzte Tropfen
Ist nöthig wie der erste.
Hagen: —
0, ich glaub's.
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