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Wedel: Das übersinnliche in der deutschen Liiteratur etc. 405
sehend und erblickt im visionären Zustande die Schäferstunde
zwischen Katharina und ihrem Günstlinge.
Fast noch mehr vergessen, wie Immermann, ist ein
anderer, einst viel gelesener Schriftsteller, welcher uns hier
interessirt: — Karl Gutzkow. Und doch verdiente er es
wahrlich mehr, als mancher unter den an Geschmacklosigkeit
und Anmaassung reichen, an poetischer Fähigkeit armen
Tagesberühmtheiten, gelesen zu werden. Uns interessiren
hier vor allem seine beiden grossen Eomane aus der Mitte
dieses Jahrhunderts: — -Die Ritter vom Geiste" — und
— „Der Zauberer von Rom." — Im ersteren ist es der
excentrische Gerichtsbeamte Hackeri, der als Nachtwandler
seine Bekannten oft in Staunen und Schrecken versetzt.
Im — „Zauberer von Rom" — ist eine der Hauptpersonen,
Paula von Droste-Camphausen > ein Kind der rothen Erde,
eine Somnambule. Die — „Seherin von Westerhof" — der
Name ist wohl im Hinblick auf die Seherin von Prevorst
gewählt — wird uns einmal im Hochschlafe vorgeführt und
eine magnetische Seance ausführlich geschildert. In — -
„Hohenschwangau" —, einem übrigens wenig erbaulichen
Mischmasch von Geschichte und Dichtung, werden auch die
Wahrsagerkünste der Reformationszeit berührt, besonders
das Prophezeihen aus dem Krystall oder einer glänzenden
Flüssigkeit, die auf einen Fingernagel geträufelt ist. — In
der Auffassung von Paracelsus9 Persönlichkeit huldigt der
Schriftsteller leider noch ganz dem früheren Irrthum, welcher
in dem Reformator der Medicin einen Marktschreier und
Charlatan sah.
Auch die bedeutendste Dichterin der deutschen Zunge,
Annette von Droste-Hülshoff, hat als echtes Kind der
rothen Erde einen stark mystischen Zug. Dieses wunderbare
Weib mit dem fast männlichen Charakter, — soweit man
dies aus ihren Dichtungen beurtheilen kann, — welche die
tiefsten und ergreifendsten Töne anzuschlagen vermag, welche
die Poesie der Natur in einer Weise zu verdolmetschen
versteht, wie ausser ihr nur noch Martin Greif, aber dabei
kein einziges Liebeslied hinterlassen hat, — sie ergeht sich
mit Vorliebe in dem anormalen Geistesleben ihrer Heimath,
Bs sei hier gestattet, eine Auswahl von ihren Gedichten
zu erwähnen. Ein ganzes Pandämonium von Spukgeistern
der Volksphantasie treten in dem Stimmungsbilde — „Der
Knabe im Moore" — auf.
0 schaurig ist's, übers Moor zu gebn,
— Wenn es wimmelt vom Haiderauche,
Sich wie Phantome die Dünste drehn
Und die Ranke häkelt am Strauche,
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