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Wedel: Das Uebersinnliehe in der deutschen Litteratur etc. 40!)
Auf des schlafenden Freiherrn Locke,
Hernieder bohrend in kalter Kraft
Die Vanipyrzunge, des Strahles Schaft.
Der Schläfer stöhnt, ein Traum voll Noth
Scheint seine Sinne zu quälen;
Es zuckt die Wimper, ein Heises Roth
Will über die Wange sich stehlen:
Schau, wie er woget und rudert und fährt,
Wie einer, so gegen den Strom sich wehrt
Nun zuckt er auf, — ob ihm geträumt,
Nicht kann er sich dessen entsinnen, —
Ihn fröstelt, fröstelt, ob's drinnen schäumt,
Wie Fluthen zum Strudel rinnen:
Was ihn geängstigt, er weiss es auch:
*üs war des Mondes giftiger Hauch.*)
0 Fluch dor Haide, gleich Ahasver
Unter'ni Nachtgestirne zu kreisen!
Wenn seiner Strahlen züngelndes Meer
Auf bohrt der Seele Schleusen,
Und der Prophet, ein verzweifelpd Wild,
Kämpft gegen das mählich steigende Bild.
Im Mantel schaudernd misst das Parket
Der Freiherr die Läng' und Breite
Und wo am Boden ein Schimmer steht,
Weitaus er beuget zur Seite,
Er hat einen Willen und hat eine Kraft,
Die sollen nicht liegen in Blutes Haft.
Es will ihn krallen, es saugt ihn an,
Wo Glanz die Scheiben umgleitet,
Doch langsam weichend, Spann' um Spann',
Wie ein wunder Edelhirsch schreitet,
In immer engerem Kreis gehetzt,
Des Lagers Pfosten ergreift er zuletzt.
Dasteht er keuchend, sinnt und sinnt,
Die müde Seele zu laben,
Denkt an sein liebes, einziges Kind,
Seinen zarten, schwächlichen Knaben,
Ob dessen Leben des Vaters Gebet
Wie eine zitternde Flamme steht.
Hat er des Kleinen Stammbaum doch
Gestellt an des Lagers Ende,
Nach dem Abendkusse und Segen noch
Drüber brünstig zu falten die Hände;
Im Monde flimmernd das Pergament
Zeigt Schild an Schilder, schier ohne End*.
Kechts ab des eigenen Blutes Gezweig,
Die alten freiherrlichen Wappen,
Dr^l Kosen im Silberfelde bleich,
*) Vergl. „Der Mond, seine Einwirkung auf unsere Erde und
deren Bewohner*1 von Carl Alexander Schulz in „Psych. Stud." April-
Heft 1893 S. 210 ff. Desgl. „Bismarck9* Glaube an den Mond44 im
September-Heft 1883 S. 431 und 434. —■ Der Sekr. d. Red.
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