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Kniepf: Eine magnetische Sitzung in Indien i. J. 1674. 423
Rolle.*) In der sexuellen Region liegen noch grosse und
unbekannte Kräfte verborgen, sind darin kondensirt. Das
wussten die Alten besser, als man es heute weiss, daher
die ungeheure Rolle des Geschlechtlichen in der Religion,
in den grossen Mysterien (Geheimkulten) des Alterthums*
Sind doch die orientalischen Magier entweder Asketen oder
in sexueller Beziehung sehr enthaltsame Leute, von ihuen
stammt die „Abtötung des Fleisches" her, das Ideal der
Religionen. Man weiss heute nicht mehr recht, wozu es
da war; im Christenthum dient es verschiedenen Zwecken.
Aber noch die Vorläufer des Christenthums, jene Therapeuten
Aegyptens, übten die Askese, wie Philo schreibt, des
„sehenden Reichthums" (des Viel zu Schauenden) halber,
d. h. um des Somnambulismus und Mediumismus willen. Es
waren Offenbarungsspiritisten, und durch den Mund ihrer
Trance-Redner sprachen die alten Propheten und Heiligen
der Ueberlieferung zu ihnen. Ganz wie bei uns! Damals
herrschte viel mehr Spiritismus als heute, denn Philo von
Alexandrien, der Hohepriesterabkömmling, der sich sehr für
diese Bewegung aus leicht begreiflichen Gründen als philosophischer
Verfechter des alten Testamentes interessirte,
sagt etwas überschwänglich, dass jene Begeisterten über
die ganze Erde verbreitet seien. Hier hatte die somnambule
Askese freilich wiederum den Charakter einer religiösen
Reform angenommen; denn jene Sektirer besassen bereits
einen neuen göttlichen Vorsteher ihrer Mysterien mit
Brod und Wein.
Jene indische Sitzung diente praktischeren Ergebnissen.
Man beachte die Verbindung eines Mädchens mit einem
Greise — zwei entgegengesetzte und doch ähnliche sexuelle
Pole: — dei „virgo immaculata" ist in allen alten Kulten
bekanntlich eine wichtige Rolle zugefallen, während die
Magnetiseure, die Priester, sich eines reinen Lebens be-
fleissigen sollten. Das Kind wurde in obiger Sitzung offenbar
in Halbtrance versetzt, es diente als Accumulator, als
Medium und camera obscura für die Einflüsse und
Wünsche des neugierigen de Lespinay, die mit Oel hellglänzend
gemachte Kupferplatte als ein das innere Auge
in magnetische Erregung versetzendes Instrument. In London
kann man „Wunder-Krystalie" zu verschiedenen magnetischen
Zwecken und in verschiedener Ausstattung und
Preislag. kaufen. Natürlich wird Jemandem der sog.
„Torpedo-Crystall" für 15 oder 32 Shilling zum Hervor-
*) Man vergl. hierüber BoJm's und Kiesewetlef* Artikel in „Psych,
Stud." April lieft 1898 S. 186 ff., Note. — Der Sekr.d. Red.
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