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452 Psychische Studien. XXV. Jahrg. 9. Heft. (September 1898.)
läge der materiellen Sinne geschaffen wird, kurz er wurde
Mensch, sank also mit Verlust, resp. Latentwerdung des
göttlichen Geistes, ganz in's Materielle, mit allen seinen
Consequenzen des Zerfalls, der Sterblichkeit, der Krankheit
und Sinnestäuschung, kurz mit einem Worte, der Unvoll-
kommenheit herab. An Stelle der dem Adam mit seiner
astralen Wesenheit eigentümlichen magischen Geisteskraft
trat der trügerische Effect einer durch die schlechte Brille
der fünf materiellen Sinne bedingten Gehirnthätigkeit, welche
dem Menschen das vom Satan, dem (bösen) Prinzip der
Materie, versprochene Geschenk des lchbewusstseins mit
seinen falschen Praemissen und praktischen Folgerungen
brachte. Die Materie hat sich, folgend dem ihr inhärenten
Entwickelungsdrang, unendlich hoch entwickelt; das göttlich
geistige Element aber schläft im Menschen, während der
Scheingeist des menschlichen Gehirns, der nur ein Reflex
jen^s göttlichen Geistes ist, sich der Selbsttäuschung hin«
giebt, das einzig wahre geistige Element zu sein, der
Triumph der Materie. Da aber alle menschliche Erkenntniss
nur Schein ist und wechselnd, je nach den Verhältnissen,
so kann der Menschengeist niemals die Wahrheit finden.
Der Menschengeist und seine Producte sind ephemer, und
deshalb ist obiges Wort, dass es so viele Götter giebt als
Gehirne, sehr wahr.
Jeder selbstständige Menschengeist bat also sich seine
eigene Meinung geschaffen auch von dem höchsten Wesen,
zu dessen Verehrung ihn das, wenn auch nur ahnungsweise,
thätige Bewusstsein seiner göttlichen Abstammung antreibt.
Der stärkere Menschengeist drängt dem schwächeren seine
Ansichten auf, der stärkste aber presst die nachgiebige
Gehirnmasse grösserer Menschenzahlen in die Form seiner
Meinung, wie dies die Geschichte zur Genüge beweist*
Ebenso bekannt aber ist auch, dass durch progressive
geistige Ummodelung und Verbauung von thatsächlichen
Verhältnissen mit der Zeit nicht nur eine Fälschung
historischer Daten, sondern auch geistig-religiöser Pro-
duetionen eintritt, welche sich mehr und mehr von der
Wahrheit entfernen. Daher stammt auch die Verschiedenheit
der Confessicnen, die sich fälschlich als religiöse Wahrheiten
ausgeben.
Nun finden sich aber trotz aller äusserlichen Verschiedenheiten
in einzelnen grossen Religionssystemen für
denjenigen, der diese Aeusserlichkeiten als nicht wesentlich,
als Verbildungen erkennt, gewisse Berührungspunkte, welche
zusammen einen Kern liefern, der allen bedeutenden
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