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466 Psyehische Studien. XXV. Jahrg. 9. Heft. (September 1898.)
Urkunden verfasst, die Werke geschrieben wurden, und
sodann die Terminologie von damals in die Terminologie
von heute zu übersetzen.
Nur auf diese Art kann das Bild einer vergangenen
Zeit, eines früheren Stadiums der Entwickelung von Philosophie
, Wissensehaft u. s. w,, erlangt werden.
In solcher Weise arbeitete j?. 31. Berthelot, als
er seine grossen Werke über Alchymie vorbereitete und
schrieb, von denen das neueste vor drei Jahren erschien unter
dem Titel: — „La Chimie au moyen äge." Paris:
Imprimerie nationale. Drei Bände in 4°. — Dasselbe steht
einzig da in seiner Art und übertrifft an Inhalt, Genauigkeit
und Erkenntniss alles, was bisher über den Gegenstand
veröffentlicht wurde.
In der Vorrede zum ersten Band zeigt Berthelot, dass
die Geschichte der Chemie höchst belangreich sei für das
Studium der Entwickelung des wissenschaftlichen Geistes.
Die Mathematik sei deductiv; die Naturkunde stütze
vorzugsweise sich auf die Beobachtung. In der Chemie, im
Gegensatz zu anderen Fächern, wären die Theorien so
versteckt gewesen, dass man mehr als fünfzehn Jahrhunderte
gebraucht hätte, um die wahren Grundsäulen zu entdecken,
und die alten Chemiker oder Alchymisten fanden ihre
Leitung blos in einer verworrenen Mischung von auf
Analogie gebauten Gesichtspunkten, zusammenhängend mit
unbestimmten Einbildungen und grillenhaften Hoffnungen.
— Und doch erwuchs aus diesem scheinbaren Chaos die
Chemie als exacte Wissenschaft. Und doch dürfte, was
Berthelot vielleicht nicht glaubt, das scheinbare Wirrsal auch
der tollsten Alchymie durch die sogenannten geheimen
Wissenschaften erforscht, seines Characters als Wirrsal bald
sich entäussern und in hellem Licht der Wahrheit sich
entpuppen.
„Die exacte Kenntniss der aufeinander folgenden Portschritte
der Alchymie", sagt Berthelot, „der Methoden, der
Ideen der Alchymisten, welche eine wahrhaftige Naturphilosophie
ausmachen, verbunden mit der vernünftigen und
religiösen Philosophie ihrer Zeitgenossen, verdient, genau
ergründet zu werden.** — Und dies unternahm Berthelot mit
grösstem Erfolg, zuerst in seinen Werken — „Les Ürigines
de P Alchimie" (1885) und „Collection des anciens xllchimistes
grecs" (1887—1888. Drei Bände in 4°), und schliesslich in
der vorliegenden Arbeit.
Berthelot liefert den Nachweis, dass zwischen den
Alchymisten von Hellas in den ersten Jahrhunderten
christlicher Zeitrechnung und den lateinischen Alchymisten
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