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520 Psychwehe Studien. XXV. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1898.)
Zeit zur anderen einige glänzendere und glücklichere Geister
gewesen, welche den Aether erreicht haben, worin die über
den Menschen stehenden Wesen weben und athtnen." —
Die edlen Triebe der Gerechtigkeit, der Nächstenliebe,
des Pflichtgefühls u. s. w., sie alle sind Reflexe der göttlichen
Vollkommenheit, und im Gewissen mahnt uns die
Stimme Gottes. Die gegenteiligen Eigenschaften, die sich
mit dem Sammelnamen „Egoismus14 bezeichnen lassen,
sind die Hauptmerkmale der Materie, die um jeden Preis
nach Aeusserung strebt und dieses Streben in der belebten
wie unbelebten Masse kundgiebt. Der Egoismus ist die
Triebfeder alles menschlichen Thuns, und selbst die Mutterliebe
macht davon keine Ausnahme, wenn sie auch durch
Egoismus bedingt wird, der in seinen Folgen einem anderen
Menschen zu Gute kommt.
Der Gegensatz des Egoismus ist der Altruismus,
die Nächstenliebe in der Potenz, welcher das Wohl anderer
Individuen nicht vom Standpunkt eines berechnenden
Egoismus erstrebt, sondern das Gute um seiner selbst willen
thut. Die dem Individualitätsgefühl entspringende Selbstsucht
bedeckt das Menschenherz mit harter Kruste, die erst
im Strahl der göttlichen Liebe schmilzt, wenn die Erkenntniss
der Einheit aller Wesen, die mit ihren Füssen
im gleichen Boden wurzeln, mit leuchtendem Licht
dieselben erwärmt. Der Altruismus ist keine fromme
Schwärmerei, sondern etwas logisch Beweisbares.
Die Entwickelung von Materie und Geist (nicht Intellect)
stehen sich diametral gegenüber. Wo das eine Moment
vorherrscht, muss das andere weichen. Unsere Kultur nun
thut alles, um die Materie zur Entfaltung ihrer Macht
gelangen zu lassen, und ist deshalb von vornherein dem im
Menschen liegenden göttlichen Geisteskern die grösste
Gegnerin. Auch die sogenannte Erkenntniss,*) die sich beim
heutigen Gehirnmenschen auf unsere Sinne stützt, ist die
Feindin des göttlichen Geistes, obwohl dessen Kind, weil
*) Dem wahren Ich steht das Schein-Ich, die Person gegenüber.
Dass uuser sogenanntes Ich aber nur ein Schein-Ich ist, wird aus
Folgendem klar. Zwei Factoren a und b «eben multiplicirt aXb«c.
Ist nun «in Factor unrichtig, so ist auch das Product falsch. Unser
Verstand, d<r mit dem Gesetze der Logik arbeitet, ist an sich wahr,
da er ja ein Strahl des göttlichen Geistes ist. Unsere Sinne aber sind
subjeetiv und arbeiten bekanntlich ungenügend. Unsere Erkenntniss
kommt aber zu Stande durch das Verarbeiten der Sinnesresultate mit
der Verstandest!» ätigkeit. Sei nun Sinnesthätigkeit = a, Verstand *» b,
so erhalten wir a>^b=*e (Erkenntniss). Da aber a falsch ist, so ist auch
c falsch, das heisst unser Ich ist nur scheinbar. Erst wenn a richtig
gestellt wird, dann kennen wir das wahre Ich.
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