http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1898/0531
Htrebel: Skizze über esoterischen Oceultismus.
523
wofür man dann mit dem Himmel belohnt wird, in dem es
sehr menschlich aussieht, und in dem die meisten und besten
Plätze schon im Voraus für eine Schaar von sogenannten
Dienern Gottes belegt sind. Statt des Schwärmens für einige
falsch verstandene, apokryphische Persönlichkeiten und
Loealitäten, statt selbstsüchtiger Gebete, Bitten und Wünsche
und eines fanatisch-orthodox-frömmelnden Pharisäerthums,
verlangt die wahre, die esoterische Lehre ein schweres,
thätiges Arbeiten, einen Kampf mit der Selbstsucht, dem
Ich, dem Ichbewusstsein, den Sinnen und der Sinneslust.
Nur an der Hand der esoterischen Lehre versteht man die
Bibel und das Christenthum, wie auch die scheinbare
Ungerechtigkeit in dem Ausspruche Christi: — „Wahrlich,
ich sage euch, eher geht ein K&meel durch ein Nadelöhr
als ein Beicher in's Himmelreich la — womit er sagen will,
dass es die ganze Kraft eines Mannes erfordert, sich von
seinem Selbst mit allen menschlichen Lüsten und Schwächen
frei zu machen. Da der Reiche nun gewöhnlich die meisten
Bedürfnisse hat, so hat er auch mehr Schwierigkeiten zur *
Selbstüberwindung als der Arme.
Dass die Kenntniss dieser esoterischen Lehren in den
ersten Jahrhunderten nach Christus noch allgemein, resp.
bekannt war, ist sicher, und es beweisen dies vor allein die
Anachoreten, die da hofften, in der Einsamkeit, durch
Askese . . . rascher zum Ziel, der Abtötung der weltlichen
Gelüste zu gelangen. Gottes schöne Erde aber soll kein
Kirchhof mit lebendigen Leichen sein, sondern ein Getriebe
des Lebens, gedrängt von Pflichten; in nützlicher Arbeit
soll der Mensch dahin gelangen, Gott mehr zu lieben als
sich selbst, d. h. durch lebendige, im Sinne des göttlichen
Geistes werkthätige Liebe sich los zu machen von der
Selbstsucht, von irdischen Schwächen, um endlich, wenn die
höchste Stufe geistig-seelischer Entwickelung erreicht ist»
des Glückes der Vereinigung mit seinem Gott schon auf
dieser Erde theilhaftig zu werden. Dies ist der Endzweck
aller Entwickelung, die Ursache unseres Daseins, dass der
am Schöpfungstage seiner selbst noch nicht
bewusste Geist in der Materie im Laufe der
Entwickelung fortschreitet zum selbstbewussten
Geistescentrum, nachdem es ihm gelungen ist, sich von
der Illusion des Schein-Ich, welches die Materie geschaffen
hat, Zrei zu machen. Als seiner selbst bewusstes Geistescentrum
kehrt der Geist zu seinem Vater und zur Unsterblichkeit
zurück. Die Entwickelung der Menschheit
führt von selbst, wenn auch mit Umwegen und
Aufenthalten, diesem Ziele zu. Wer aber mit der
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1898/0531