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Wedel: Das Uebersinnliche in der deutschen Litteratur etc. 527
ihr zuruft: — „Sorge nicht, Ihm wird bald kühl." — Das
ironisirende Element der Prophetie ist ja jedem Leser
geläufig. — Als die Mongolen in Schlesien einbrechen und
ihr Sohn in der unglücklichen Schlacht den Heldentod
gestorben ist, sieht sie es im Traume, bevor der Unglücks-
bote angekommen ist.*) Das Gegenstück zu ihr ist ein alter
Köhler, welcher die Gabe des zweiten Gesichtes hat, und
als das Heer ausrückt, daran erkennt, dass keiner der
kampfesmuthigen Helden heimkehren werde. Als dritter
endlich erprobt der Tatarchan das Hereinragen einer
anderen Wesensordnung. In der Nacht, welche auf das
grause Morden fogt, erscheinen ihm die Geister der
erschlagenen Helden, und dieses Gesicht trägt viel dazu
bei, ihn zum Rückzüge zu veranlassen, obschon der Dichter
ein viel zu feiner Lebenskenner ist, um es als das einzige
Motiv hinzustellen.
Auffallend wenig Ausbeute für uns liefert wiederum
Lenau, der, obschon ein Sohn Ungarns, doch durch seine
Beziehungen zur schwäbischen Schule hier erwähnt werden „
mag. Doppelt auffallend ist es, dass er, der mit übersinnlichen
Gaben Ausgestattete,**) nur so selten das Uebersinnliche
zum Vorwurfe für seine Dichtungen wählte. In den
— „Albigensern*4 — wird der Papst durch die telepathische
Erscheinung eines ermordeten Grafen veranlasst, den Rachezug
— soll heissen Kreuzzug — zu predigen. In den kleineren
Gedichten finden sich nur spärliche Stellen. Der — „Raubschütz
" — behandelt in volksthümlicher Weise die Wiederkehr
eines erschossenen Wilderers. Die — „Warnung im Traume'4
— schildert die über das Grab hinausdauernde Mutterliebe,
welche den auf Abwege gerathenen Sohn zu warnen sucht
und dabei im Traume ihm ein symbolisches Schreckbild
vorzaubert. Eine Spukgeschichte wird schliesslich in dem
Gedichte — „Der traurige Mönch" — erzählt. Immerhin
sind es nur spärliche Stellen, was bei einer so übersinnlich
veranlagten Natur Wunder nehmen muss. Vielleicht waren
ihm diese Dinge m vertraut, um noch poetisch wirken zu
können, denn in der That haftet den echten Phänomenen
häufig etwas Hausbackenes, Philisterhaftes an, was sie von
den freien Erfindungen der Phantasie scheidet.
Sein glücklicherer, aber wenig begabter Landsmann
Friedrich Halm (Graf Münch-Sellinghausen), der
Verfasser des — „Fechters von Ravenna" — und der —
*) Vergl. „Psych. Stud." Juli-Heft 1893 Seite 834 ff. und Juli-Heft
1886, S. H28 ff. — Der Sekr. d. Red.
**) Vergl. „Psych. Stud.4' October Heft 1886 8, 473 ff., April-Heft
1895 S. 184 ff. — Der Sekr. d. Red.
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