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Wedel: Das Uebersinnliche in der deutschen Litteratur etc. 531
Conception der Störrischen Schriften, wie vertraut der Verfasser
mit dem occulten Seelenleben war. Seine Sehilderungen
machen häufig den Eindruck, als seien sie nicht der sogenannten
Wirklichkeit abgelauscht, sondern als ob sie einem
visionären Schauen ihren Ursprung verdanken. Auch eines
seiner schönsten Gedichte — „O bleibe treu den Todten*'
— mag hier erwähnt werden.
Beiläufige Andeutungen des Uebersinnlichen finden sich
auch bei Wilhelm liaahe.*) Seine Base Schlotterbeck aus
dem — „Hungerpastor" — ist eine Hellseherin, welche die
Verstorbenen auf der Strasse herumgehen sieht und so
häufig derartige Visionen hat, dass sie davon wie von etwas
ganz Alltäglichem erzählt. In der kleinen historischen
Novelle — „Das letzte Recht" — sieht der alte Kindler
das Hereinbrechen der Katastrophe in einem Wahrtraume
voraus.
Die Idee der Reincarnation liegt Wilbranfltfs eigenartiger
Feit^f-Dichtung — „Der Meister von Paliuyra" —
zu Grunde* Der Held, ein hellenischer Künstler, der zur
Zeit des römischen Kaiserreiches in der Palmenstadt lebt,
erlangt die Gabe des ewigen Lebens. Anfangs ist es ihm
ein hochwillkommenes Geschenk; als aber nacheinander alle
seine Lieben hinsterben, verwünscht er das Schicksal und
führt ein bedauernswertes Dasein, bis er zur Einsicht
gelangt, dass das Leben nicht in ewigem Beharren, sondern
im ewigen Wechsel beruht. Da bekommt Pamanias, das
Symbol des Todesgottes, wieder Macht über ihn, und er zahlt
den Zoll alles Irdischen. Die Erkenntniss wird ihm dadurch
erleichtert, dass ein Wesen, welches jedes Mal frühe stirbt
und wieder geboren wird, seinen Pfad kreuzt. Zuerst tritt
sie ihni als junge Christin Zoe entgegen, die gesteinigt wird,
dann als hellenische Hetäre Phoebe, welche ihn liebt Als
diese ihm entflieht, wandelt er lange Zeit einsam weiter,
bis die Seele wieder geboren und zur Jungfrau Persida
herangewachsen ist. Sie führt er als Gattin heim. Als ihm
aber eine Tochter geboren worden, vergiftet der Fanatismus
der Christen, welche inzwischen die Herrschaft erlangt haben,
das Familienleben, da Äpelles dem alten Glauben anhängt.
Es kommt zum offenen Streite, in welchem sich der Meister
von der Gattin trennt und die Tochter mit sich nimmt.
Im vierten Akte hat sich jenes Wesen als Nymphas, der
Sohn meiner Tochter, wieder verkörpert und fällt im Kampfe
zu Gunsten des edlen Heidenkaisers Julian gegen die christlichen
Rebellen. Endlich sieht er jenes Wesen in der jungen
*) Vergl, „Psych. Stud." Februar-Heft 1885 S. 88 ff.
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