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562 Psychische Studien. XXV. Jahrg. 11. Heft. (November 1898.)
auch Hans Georg von Zelen mit den Fräulein [deren eine
sie als Hexe, die den Bilwitz im Getreide ihres Herrn
erwartet habe, denuncirt hatte! — Ref.] und Renatus
Wedigen. . . Dafür war aber das rechte Spreeufer dicht
besetzt von einer Menge schwarzgekleideter Bürger und
Bürgerweiber. Als die Schuldige gebracht wurde, führte
man sie dicht vor dem Fürsten vorbei. 'Ein verworrener
Kopf , — dachte Friedrich Wilhelm, als er das Mägdlein sah,
— 'wie sie dreinschaut, selbstvergessen, fahl und blass, mit
unheimlichen todten Augen, eine Fanatikerin, und sieht
doch nichts von dem, worauf ihre Blicke fallen. Sicher
steckt sie voll Gespensterglauben und Unfug, — nun, sie
wird sich und die Menge täuschen, — der Aberglaube, der
den Aberglauben richtet, —' dabei schaute er rings über
die Gesichter der Neugierigen und erkannte, dass er nach
Recht handelte, wenn er dem Gesetz seinen Lauf hess.
[Wir sind hier der gegentheiligen Ansicht des Verfassers.
— Ref.]
„Am Flussufer drunten kleidete der Büttel Lise aus,
— sie kreuzte die Arme vor der Brust, — aller Aupfen
hingen gierig an ihrem Antlitz, zu sehen, ob dies lebendig
werden, oder ob sie, völlig vom Satan unempfindlich
gemacht, die Probe überstehen würde. Und dies steinerne
Antlitz wurde lebendig, — die Augen belebten sich zu einem
grossen, strahlenden Licht, das suchend herumging und
zuletzt auf Renatus, der in seines Herrn Nähe stand, haften
blieb — Sie wurde über Kreuz gebunden, die rechte Hand
an die grosse Zehe des linken Fusses, dit linke an die
grosse Zehe des rechten, — ein härener langer Strick wurde
um ihren Leib geschnürt, — man stiess sie in das fliessende
graue Wasser.
„Dabei wendete sie sich, gebückt rückwärts schreitend,
das Haupt starr hinten über, und Hess kein Auge von ihrem
jungen Herrn. Nun war nur noch der Kopf über dem
Wasserspiegel, das Ufer fiel rasch ab, sie gerieth in das
Tiefe. — Athemlose Spannung schwebte über beiden Ufern
— kein Wort ward laut. Ob sie ihrer selbst vergass, —
sie stand, widerstrebte der Strömung, ein trauriges, wehes
Lächeln überspielte ihr Angesicht, ihr Blick riss sich los
von ihrem Herrn und flog in den grauen Morgeuhimmel
empor, verglast von einem Schleier aufsteigender Thränen,
anzusehen wie der Blick eines Thieres, das man erwürgt,
hoffnungslos, voll stummen Vorwurfs gegen Gott und die
Welt. — Ues Kurfürsten Herz füllte sich mit Mitleid: —
•Mein wendisch Volk/ — fuhr's ihm durch den Sinn, —
,d$s sie in ihrem Unverstand ersäufen , . .* Und Renatus
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