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580 Psychische Studien. XXV. Jahrg. 11. Heft. (November 1898.)
Baronin v. Oberkirch, wie aus erklärlichen Gründen die
meisten Memoiren, viel3 Jahre zurückbehalten und erst 1852
von ihrem Sohne dem Druck übergeben wurden, die
Schilderung der Sitzung bei Puysegur mit Erwähnung der
Cazofte'sehen Prophezeiungen nachträglich von irgend wem
eingeschmuggelt sei. Eine solche Möglichkeit, nun ja, sie
kann, da die Geschichte der Fälschungen schon Unglaubliches
aufgewiesen hat, schliesslich nicht unbedingt von der
Hand gewiesen werden, und, wie unwahrscheinlich sie auch
immer ist, ihre Widerlegung fehlt als Schluszstein der
Vollendung eines exaeten Beweises. Wenn es sich sonst um
irgend welche politischen oder privaten Berichte handelte,
kein noch so strenger Kritiker würde ohne besondere
zureichende Verdachtsgründe derartige Zweifel zu erheben
wagen, welche die ganze wissenschaftliche Geschichtschreibung
zuletzt aufheben mussten. Und doch ist auf
solchen Feldern persönlicher und politischer Hass tausend
Male nehr als Beweggrund zu Fälschungen denkbar, als
bei dem vorliegenden Falle, der die gemeine menschliche
Leidenschaft so wenig aufzuregen geeignet ist. Die eine
Beweislücke geben wir dem, welcher sie finden wiil, immerhin
zu und gestehen ein, dass das Ausserordentliche des Gegenstandes
freilich auch die aussei ordentlichste Schärfe der
Beweisführung wünschen lasse, obschon eine sehr gegründete
subjective Ueberzeugung von der Richtigkeit des Zeugnisses
der Frau v. Oberkirch wahrscheinlich die meisten vorurteilslosen
Beurtheiler mit uns theilen werden, so weit, wie sich
der Bereich dieses Zeugnisses überhaupt erstreckt.
Wenn nämlich die schriftlichen Mittheilungen Laharpe's
aus dem Jahre 17W, welche die Baronin las, nun zusammenfallen
mit Laharpe's später gedruckter posthumer Schilderung,
dann wäre die Echtheit jener Prophezeiungen Cazoite's ausser
aller Frage. Aber thun sie das? Es ist ein Passus vorhanden
, in dem sie es nicht thun! Erinnern Sie sich, wie
Laharpe1 s Schilderung anhebt: — „Es dünkt mir, als sei es
gestern geschehen, und doch geschah es im Anfang des
Jahres 1788." — Mithin liegen lange Jahre zwischen 1788
und der Zeit, wo Laharpe diese Zeilen schrieb. Es ist freilich
leicht anzunehmen, dass Laharpe kurz vor seinem Tode eine
alte, aus erklärlichen Gründen so lauge zurückgehaltene
Aufzeichnung jener Prophezeiungen bei einer Durchsicht mit
solcher Einleitung versah. Das ist nicht etwa eine gezwungene
Annahme, das ist sogar völlig glaublich. Indem Laharpe
aber in solcher Weise das Schriftstück dann für den Druck
vorbereitete, ist da Gewähr dafür zu leisten, dass er nicht
auch überarbeitend Aenderungen vorgenommen habe? Die
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