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590 Psyohisohe Studien. XXV. Jahrg. 11. Heft. (November 1898.)
Mensch aber ein Bürger des Himmels ist, und dass jedes
Leben auf Erden nur eine der vielen Prüfungen ist, welche
ein jeder bestehen muss, um zur Vollkommenheit zu gelangen.
Da erkennen wir, dass Leben sowohl als Tod eine Täuschung
ist, dass weder das eine, noch der andere den berührt,
welcher zur Selbsterkenntnis» gelangt ist" -
Weiter sagt Derselbe: — „Der Anhänger der
Theosophie sowohl, als der des wahren Christenthums hat
keinen höheren Zweck als Christus, d. h. den Sohn Gottes,
in sich selbst zu finden. Er kennt in Jesus den Gott, logos,
das Licht der Gotterkenntniss, welches die ganze Welt
erhellt und auch im Menschen manifest werden kann.
Freilich muss man sich, um dergleichen zu verstehen, von
alten Anschauungen befreien, die an einer Person mit dem
Namen Jesus hängt, der den Augen als eine Art Kirchenfürst
verschwebt, von dem die Menschheit, ohne selbst viel
zu thun, die Erlösung erwartet. Gerade dieses Ausschauen
nach dem äusseren Erlöser verhindert aber das Erkennen
der Offenbarung des Erlösers im Inneren jedes Menschen.
„Ein wirklicher Christ ist also dasselbe, wie ein indischer
Yogi, d. h. ein Mensch, der in vollstem Ernste die Vereinigung
seines persönlichen Ich mit Gott erstrebt, und es
ist kein Zweifel, dass die ersten Christen Angehörige einer
Yogaschule waren, deren Zweck es war, durch Uebung der
Ergebung sich mit Gott zu vereinigen und durch diese
Vereinigung zur Unsterblichkeit zu gelangen. Als aber
diese erhabene Lehre allgemein verkündet und deshalb auch
von denen, die sie nicht zu erfassen vermochten, missverstanden
wurde, da wuchsen aus diesen Missverständnissen
nach und nach die unzähligen Sekten, wie wir sie heute
sehen mit ihren vernunftwidrigen Dogmen und unverständlichen
Glaubensartikeln, Fanatismus, Intoleranz, Aeusser-
lichkeiten und Heuchelei." (Lotusblüthen). —
Absichtlich füge ich hier aus dem „Theosophical
Glossary" folgendes wörtlich an: — „Das Wort 'Christus'
kommt ursprünglich aus dem Sanskrit, und Ghrestos bezeichnete
bei den alten Griechen (Aeschylus, Herodot . • )
einen Propheten. Justinus Martyr nennt seine Mitgläubigen
Chrestiani, und Laktantius (L. IV. C. VII.) sagt, dass aus
Unwissenheit Leute sich Christian! statt Chrestiani nennen.
Ghrestos bezeichnet ursprünglich einen Schüler der Weisheit
auf dem Wege der Initiation; hatte er alle Hindernisse
überwunden und sich gereinigt, so wurde er ein „Gesalbter41,
ein Christos. Dies genügt, um anzudeuten, dass das Wort
Christenthum etwas viel Höheres bedeutet, als man
gewöhnlich darunter versteht, und dass ein wirklicher Christ
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