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594 Psyehische Studien. XXV. Jahrg. 11. Heft. (November 1898.)
dem Fünften und Washington, zwei Vertretern einer greisenhaften
und einem einer jugendfrischen Weltperiode. Es ist
eine poetische und gedankentiefe Dichtung. Der abstract
philosophische Gedanke von der Idealität der Zeit ist kaum
anderswo dichterisch so vollkommen ausgedrückt worden als
hier, ohne dass die Darstellung nach Pedanterie schmeckte*
Auch der Held seines schönsten und vollkommensten Werkes
— „Memnon", — der Sohn der Morgenröthe, ist eine ganz
mystisch veranlagte Natur. Es ist nicht gut möglich, hier
auf die einzelnen occulten Elemente der Mythe, wie Schuck
sein Werk nennt, einzugehen, es ist vielmehr die über dem
Ganzen lagernde Stimmung, der Grundakkord, welcher
durchaus occult im besten Sinne des Wortes ist* „Memnon"
ist zweifelsohne eine Dichtung von hohem poetischen Werthe,
aber „Oaviar für das Volk" und die Litteraturproletarier
von heute. Die Geistererscheinungen seiner Tragödie —
„Sirinsi% — haben nichts echt üebersinnliches an sich,
ebensowenig wie die in seinem Drama — „Das Jahr Eintausend
'1. — Eher könnte man dahin den Doppelgänger des
Papstes Sylvester im letzteren Werke rechnen, welcher dem
Pontifex bei seinen nekromantischen Versuchen entgegentritt.
Von den Schriftstellern ersten Ranges unter den
Lebenden wäre noch Conrad Ferdinand Meyer, der
unvergleichliche Meister der historischen Novelle, zu nennen.
In seiner Erzählung aus Rhäliens Vorzeit — „Die
Richterin'**) — schildert er eine Art von Materialisation,
allerdings in einer Weise, dass man das Ganze nöthigen
falls für einen Traum halten darf. Ob es jedoch nun Zufall
oder Absicht ist, jedenfalls hat der Verfasser die Art und
Weise eines mediumistischen Phänomens sehr gut dargestellt
Der Inhalt der Erzählung ist in Kürze Folgender: — Der
Richter von Malmort hat den Geliebten seiner Tochter
Stemma, einen jungen fahrenden Schüler, heimlich ermordet
und sein Kind mit dem Comes Wulf, einem alten rauhen
Krieger, vermählt. Die junge Frau tödtet den verhassten
Gatten durch Gift und erzieht die Frucht ihrer Jugendliebe,
das Töchterlein Palma novella, als ob es das legitime Kind
ihres Gemahles sei. Wulfrin, der Sohn des Ermordeten aus
erster Ehe, war schon vor der verhängnisvollen Ehe seines
Vaters entlaufen, weil er zu hart behandelt wurde. In der
Hofschule KarH des Grossen wächst er auf und begleitet
seinen Kaiser auf den Heereszügen. Die Jahre vergehen,
und Palma novella erwächst. Da entbietet die Richterin
*) Verel. „Psych. Stud." Januar-Heft 1886 S. 42 ff. —
Per Sekr. d. Red
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