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630 Psychische Studien. XXV, Jahrg. 12. Heft. (December 1898.)
Die zeitgenössische Kritik zählt den Dichter der
„Kreutzersonate" unter die Führer der modernen Literaturbewegung
, und die Ethik sieht in dem edlen Bauernfreunde
Tolstoi eiiun ihrer werkthätigsten Vorkämpfer. Der Gefeierte
sollte nicht vergessen, dass auch im Reiche des Geistes das
„noblesse oblige" gilt, auch der Geistesadel verpflichtet.
Auf den fernstehenden Zuschauer wird das Urtheil eines
Tolstoi eine ganz andere Wirkung üben, als das eines gleich-
giltigen Schwätzers; denn nie wird man doch annehmen
wollen, dass der Erstere bei der Begründung seines Urtheils
so leichtsinnig verfahre, wie der Letztere. Soweit der
mystisch angehauchte Moralist Tolstoi.
Wie wird nun der Atheist und Materialist Strindberg
dem Spiritismus gegenüberstehen? Strindberg selbst giebt
uns auf diese Frage in seinem Buche — „Inferno" —
eine erschütternde Antwort und die Ueberraschung, die wir
hier erleben, ist eine noch seltsamere.
In Nr. 13 des „Magazin für Litteratur" vom 2. April
1898 hat Max Messer diesem eigenartigen Werke eine
liebevoll eingehende Besprechung gewidmet, die schon aus
dem Grunde einen Platz in unserer Zeitschrift verdient,
als die persönlichen Ausführungen Messels von dem
immer siegreicheren Vordringen der mystischen Bewegung
Zeugniss ablegen, ein Zeugniss, das um so werthvoller ist,
als es von völlig neutraler Seite kommt.
Messer schreibt: — „Vor zwei Jahren liefen durch die
europäischen Zeitungen die erschreckendsten Nachrichten
über den ,grössten Dichter Schwedens4 (diesen Rang giebt
ihm Ola Hanssori). Bald hiess es, August Strindberg sei wahnsinnig
geworden, bald las man, der Dichter sei in Paris
dem Elend verfallen und läge hoffnungslos im Spital.
Diese Nachrichten wl *ien rasch dementirt." —
}9--— Was sich damals und seit damals bis zum
Mai 1897 in des Dichters Leben zugetragen hat, an äusseren
Leiden und inneren, schwersten Kämpfen, das erzählt uns
Strindberg im neuen Buch „Inferno" mit seiner grandiosen
Wahrheitskunst.---"
w---Strindberg ist ein dämonisches Wesen, Kräfte
schlummern in ihm, sprengen sich oft in fürchterlichen
Krämpfen an das Licht, welche aus den unterirdischesten
Tiefen der menschlichen, ja der Weltennatur überhaupt
stammen. Viele Heroen mühten sich, die steinerne Hülle
der möglichen Erkenntniss, welche uns Menschen gezogen
ist, zu zerschlagen. Bei Niemandes anderem Werk sehen wir
so deutlich die titanenhafte Anstrengung, diese Titanenwuth
der Verzweiflung über oft vergebliches Bemühen wie bei
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