http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1898/0645
Wittig: Die Lise-Lotte Uber Geister und Gespenster ihrer Zeit, 637
haben können, den(n) ordinarie [für gewöhnlich] die Geister
erscheinen nur ahn abergläubhche Leütte, ahn trunkene
oder ahn betrübten, so mit dem Milz geplagt sein, auf
was die sagen, kann kein Grund gesetzt werden, examinirt
man weiter, findt man Betrug, Dieb oder galanterieV
(Galanterien nannte man damals die illegitimen Liebesverhältnisse
.) — Sie stand, zumal in Prankreich, keineswegs
allein mit diesen aufgeklärten Ansichten. Als die Wundergeschichten
der Rosen kreuzer Aufsehen erregten, meinte
sie, in Frankreich sei der 'popel' [= peuple, das gemeine
Volk — R e f e r.] nicht mehr so einfältig, solchen Schwindel
zu glauben*). Am 19. September 1713 erzählt sie der Tante,
zwei verständige Männer hätten in einer Gesellschaft bei
Mademoiselle de Detar erklärt, sie hätten nie an Geister
geglaubt, seien aber jetzt davon überzeugt; der eine sei
ihres Sohnes Lehrer, der Abbe Dubois, der andere Fontenelle
von der Akademie. Ihr Sohn jedoch meine, Fontenelle habe
nur einmal die Gelegenheit wahrgenommen, sich gläubig zu
stellen, um sich vor den Verfolgungen der ihm feindlichen
Jesuiten zu sichern, die ihn als einen Ungläubigen verschrieen
; was aber Dubois anbetrifft, — das sagt nicht mehr
ihr Sohn, sondern sie selbst —, so sei er der grösste 'fourbe'
[Schelm] und Betrüger von Paris und sei ihm kein Wort
zu glauben. Allerdings, gesteht sie bei anderen Gelegenheiten
, verlegten sich in Paris viele Herren und Damen auf
Zauberkünste und wollten alle 'ehrliche Hexenmeister'
werden; aber zu diesen Narrheiten verleiteten nur der
Luxus und die Geldnoth; weil es auf keine andere Weise
mehr gehe, wolle man es noch mit der 'Kabbala' versuchen
und *la pierre philosophale' [den Stein der Weisen]
finden, . ♦ 'In Frankreich', schreibt sie 1698, also schon
unter der Herrschaft der ,alten ZotP, wie sie die [frömmlerische
] Maintenon gewöhnlich nennt, 'lest (lässt) man die
,opinionen' [Meinungen], wie man will, wenn man nur keine
Bücher macht, in die Mess und in's ,salut' [die Begrüssung
vor dem Throne oder das Schlussgebet, Ave] fleissig geht,
in kein Partei von der Kaballe [der geheimen Ränke und
Verschwörungen] ist, denn kann man glauben, was man
will, man bekümmert sich ganz nicht darumb.1 — Das
Mess- und Salutbesuchen aber geschah — den kleinen Kreis
der aufrichtig gläubigen Maintenon ausgenommen — bloss
des 'popels wegen, denn von den Gebildeten gab, wie
*> Man vergl. hierzu die gleich voreingenommene Ansicht der
russische Kaiserin Katharina II. in „Psych. Stud." Juli-Heft 1898
S. 857 ff, — Der Sekr. d. Hed.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1898/0645