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642 Psychische Studien. XXV. Jahrg. 12. Heft. (December 1898.)
möglich meinen Mann wieder darüber zu befragen. Da
scheint es mir, ich wäre wach geworden, und will meinen
Mann eben fragen; dabei bemerke ich an seiner Stelle den
besagten Greis, der mir streng und unwillig sagt; — 'Was
plagst Du denn diesen Menschen mit dieser dummen Frage?
Glaubst Du denn, ihm wäre leicht zu Muthe? Weisst Du
denn nicht, dass er das schwerer trägt, als Du? Fürchte
nichts, bis zum Grabe bist Du schon einige Male gekommen,
aber hinein wirst Du sobald nicht kommen. Du weisst ja
das schon, weisst auch, dass Du ihn überleben wirst/ —
Vor Schreck wachte ich mit Schmerzen auf, und da ich
nicht athmen kann, schreie ich: — 'Macht die Fenster auf,
Luft, Luft!' — und falle in Ohnmacht. Als ich mich wieder
besinne, frage ich, ob der Alte noch hier wäre. Meine
Mutter denkt, ich phantasire; aber mein Mann, nachdem
er meinen Puls befühlt hatte, sagt: — ,Gewiss hat sie etwas
Böses geträumt I' — Nach diesem Traume trat Besserung
ein. Nun glaubten wir, dass der vorherige gleiche Traum
ein Vorbote meiner Krankheit war. —
„Den 30. Januar 1884 gebar ich ein zweites Söhnchen.
Es lebte elf Monate und war sehr gut entwickelt und vollkommen
gesund. In der zweiten Hälfte des Monats November
träumt mir folgendes: — Ich promenire mit meinem Manne
in einem schönen Walde und bemerke ein sehr schönes
Vögelchen, das von Ast zu Ast fliegt. Ich strecke die Hand
aus, um es zu fangen, da fliegt es von selbst auf meine
Schulter. Ich liebkose es am Kopfe, und es will seinen
Kopf in meinen Busen bergen, worauf ich bemerke, dass ihm
der Kopf blutroth wäre. — 'Schau', — sage ich zu meinem
Manne, — 'wie schön dieses Vögelchen ist; soll ich es mit
nach Hause nehmen? Wie heisst es denn?' — ,Es heisst
Eichelhäher, und wenn es Dir so gefällt, so nimm es mit*,
— gab mir mein Mann zur Antwort. — 'Schade', — sage
ich, — 'ein so schöner und lieber Vogel und ein so garstiger
Name!' — Ich lege ihn in meine Arme wie ein Kind. Nun
passirten wir schon den Wald, und vor uns sahen wir eine
Wüste. Ich frage meinen Mann, wie wir denn in diese
Wüste gekommen wären, und wie sie heisse. — , Das ist die
Wüste Sahara1, — erwiedert er; — ,lege Dich schnell nieder,
denn siehe, mit was für schrecklicher Eile jene Sandsäule
sich gegen uns heranwälzt! Das ist der Samum. Lege Dich
nieder, sonst wird sie an uns gerathen, und wir sind verloren
.' — Sobald er dies gesagt hatte , wurden wir vom
Sande eingehüllt und fielen nieder. Nachdem ich bemerkt
hatte, dass Alles vorüber war, stand ich auf, und mein
erster Gedanke war das Vögelchen. Aber dem Vogel sind
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