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660 Psychische Studien. XXV. Jahrg. 12. Heft. (December 1898)
zeugt worden; auch von Daniel Home wissen wir, dass er
bis zu seinem Ende sein körperliches Ergehen genau vorher
wusste. Eine Menge von Todesankündigungen und Wahrträumen
fallen in dies Gebiet. Haben wir aber einmal die
Gewissheit dieser Beispiele, so ist eine feste Grundlage für
Weissagungen jeder Art gewonnen. Aus allen Zeiten und
bei allen Völkern sind genug Fälle merkwürdig erfüllter
Weissagungen überliefert, die den ernstesten Köpfen denkwürdig
und erinnerungswerth waren, und es möchte sehr
die Frage sein, ob die herrschende Denkricht.ung der letzten
Jahrhunderte im Rechte sei, zu glauben, dass derlei nur für
Wucherung der Phantasie anzusehen und der Beachtung des
Philosophen unwürdig sei. Ganz abgesehen noch von der
Thatsächlichkeit der Erfüllung jener Weissagungen muss die
Thatsächlichkeit von dem verbreiteten starken Interesse an
denselben für den Philosophen psychologischen Werth haben
und, wenn es sehr leicht sein dürfte, das alles der Phantasie
zuzuschieben, käme es doch wohl darauf an, zu enträthseln,
was der Phantasie den Antrieb zu solchem Interesse gebe.
Die grössten Männer aller Richtungen haben dasselbe
bekundet, nicht blos die grössten Dichter in ihren Werken.
Wenn aber die letzteren, denen das Reich der Phantasie
insbesondere gehört, es ausnehmend bethätigen, so ist zu
sagen, dass die Phantasie eine unmissbare und höchst
gesunde Geisteskraft ist, und dass allein deren gesundeste
Ausübung den Dichter ausmache. Jegliche Willkür, das
Zeichen einer krankhaft phantastischen Ausartung, ist ihr
fremd, und sie ist darum etwas so Gewaltiges, weil sie in
ungebundener Bewegungsfreiheit immer nichts anderes
schafft als das Nothwendige. Jakob Frohschammer hat
deshalb in der Phantasie das Grundprinzip der göttlichen
Schöpfung sehen wollen. Die gestaltende Kraft des Künstlers
kann ja allerdings Wundergebilde erschaffen, wie die Hexen
im „Macbeth", Mephisto, u. s. w., die so, wie er sie ausführt,
Niemand in der Wirklichkeit annimmt; allein dem, was jene
Gebilde ahnungsvoll ausdrücken, muss unter allen Umständen
eine verborgene psychologische Wahrheit, eine transscendente
Kraft entsprechen, welcher der Dichter uns damit so nahe
bringen will wie möglich. Er will uns das hell und mächtig
ahnen lassen, was er selber ahnend zu gestalten die Kraft
besass. Zu entnervenden bunten Spielen wie zu einem Nichts
hat er dieses tiefstdringende Gestaltungsvermögen nicht entfaltet
. Dagegen wird man von den Weissagungen in
der Poesie zu sagen haben, dass sie, die Noth wendigkeit
alles Geschehens und den tief wurzelnden engen Zusammenhang
der Menschenseele mit ihm abzeichnend, schlechterdings
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