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2 Psychische Studien. XXVI. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1899.)
dass nach dem heldenmütigen Vorgang Zola's, den wir als
das verkörperte Gewissen Frankreichs bezeichnen möchten,
unsere westlichen Nachbarn an den abschreckend häss-
lichen Auswüchsen eines falsch verstandenen Patriotismus in
immer weiteren Kreisen allmählich einzusehen beginnen,
dass ein seiner Mehrzahl nach in der materialistischen Ver-
irrung der Zeit befangenes Volk schliesslich dem Abgrund
der Bestialität zugeführt werden muss. Dieser Brief, der
die hohe ethische Bedeutung des Spiritismus in
ein so helles Licht setzt, dass wir den neuen Jahrgang
unserer Zeitschrift nicht besser beginnen zu können glauben,
als indem wir seinem gediegenen Inhalt weiteste Verbreitung
geben, lautet (mit Weglassung . einiger für den deutschen
Leser weniger interessanten Einzelheiten) in sinngetreuer
Uebersetzung wie folgt:
Der Kardinal Lecot, Erzbischof von Bordeaux, hat
aus Anlass der päpstlichen Encyclica „Diuturni temporis"
(Die Notwendigkeiten der gegenwärtigen Zeiten) dieses
Dokument mit einem Pastoralbrief begleitet, dessen Erklärungen
an die berüchtigte und abscheuliche Bede
erinnern, die seiner Zeit der Mönch Ollivier in Notre-Dame
nach der Katastrophe des Wohlthätigkeitsbazars hielt.
Nachdem er den abschreckenden Schmutz konstatirt
hat, in welchem Frankreich zappelt, nachdem er von dem
Verfall seines Handels und von der Verdunkelung seines
moralischen Einflusses auf die Welt u. s. w. gesprochen hat,
fügt er hinzu, dass „auf Gottes Geheiss" die Sonne, die
Elemente sich mit unseren Feinden gegen uns verbünden,
um uns zu erniedrigen. „Die Landplagen verfolgen uns mit
Wuth, um den verkannten Gott zu rächen" — als ob es
nicht die Lügen der Kirche wären, welche die Atheisten
geschaffen und vermehrt haben!
Schon wieder erscheint also die Gottheit als das durch
Thränen und Blut entstellte Ungeheuer und schon wieder
müssen wir diese erstaunliche Neuigkeit aus dem Munde
eines Fürsten der unfehlbaren Kirche hören!
Wenn Frankreich im Jahre 1870/71 geschlagen wurde
so hat Gott es gewollt! Wenn unsere Ernten schlecht
sind, wenn die Krankheiten unsere Landleute zu Grunde
richten, so will das Gott! Ebenso ist es mit dem Eückgang
unseres Handels, mit der steigenden Fluth der Verbrechen,
der Selbstmorde, des Wahnsinnes u. s. f. — Welcher gütige
Vater!
Wenn man wie in dem Fall Dreyfus Hassausbrüche
wieder erwachen sah, die man auf immer erloschen und auf
immer verpönt glaubte, wenn man Drohungen sich erheben
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