http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1899/0014
6 Psychische Studien. XXVI. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1899.)
„Ei was! Das also ist die gerühmte Civilisation! Sie
ist ja in der Nähe noch hässlicher als von ferne. Wir
hatten davon schon eine traurige Vorstellung, indem wir sie
nach dem ehrlosen Benehmen weisser Reisender beurtheilten,
die, unsere Unwissenheit missbrauchend, uns die scheuss-
lichsten Krankheiten und Laster einimpften. Aber wir
hätten es nicht für möglich gehalten, dass gebildete,
intelligente Leute, Familienväter, nicht verschiedener Meinung
sein könnten, ohne sich für verpflichtet zu halten, sich
gegenseitig zu beschuldigen, ihre Mutter getödtet, ihre
Schwestern verkauft oder von der Schande ihrer Frau
gelebt zu haben.tt Unsere Wilden würden aus solchen für
sie unbegreiflichen Erscheinungen mit Notwendigkeit auf
die Unsicherheit alles moralischen Unterrichts und folglich
der Moral selbst schlies^en und zwar eben sowohl derjenigen,
die von den Religionen, als derjenigen, die von Laien gelehrt
wird. . .
Aber die Verdutzung der Wilden würde wohl den
höchsten Grad erreichen, wenn sie von jener Art von Ausbeutung
Kenntniss erhielten, welche die „Freibeuter der
nationalistischen Feder" sich an den Todten gestatten! Oh!
hierin übertreffen diese die Raben und die Schakale!
Unsere edeln Nationalisten graben wie der Vampyr,
sie graben, scharren die Leichname aus, zerstückeln, zerhacken
sie, um zu versuchen die Makel zu entdecken, die
der Verlebte vielleicht hätte haben können!
Die geringste Spur genügt den antisemitischen Nationalisten
, um in die ganze Welt hinauszurufen: „Der Vater
oder die Mutter oder vielleicht der Grossneffe des
Revisionisten X hat den oder den Fehler, die oder die
Schwäche gehabt, daraus folgt, dass nach dem Gesetze der
Vererbung Herr X nur ein zu allem fähiger Bandit sein
kann!" Wenn unsere modernen Vampyre an der Leiche
nichts finden, so entledigen sie sich ihrer Aufgabe, indem
sie die gemeinsten Geschichten erfinden, sie lassen den
Todten lügen, um den Lebenden zu verderben."
Und solche Gesellen wagen es sich Franzosen zu nennen!
Das wollen Söhne der ritterlichen Gallier, die Enkel der
braven Gelten sein! Was wollen wir weiter ? Ja, wie ihnen
LrV. Meunier zurief: Auf die Kniee, ihr Schelme! Auf die
Kniee, gemeine Bande, damit ihr nicht nur Frankreich um
Verzeihung bittet, das ihr zur untersten Stufe der Nationen
erniedrigt, sondern auch die Menschheit, die ihr vergiftet
, denn bis jetzt hat sie thatsächlich noch niemals die
Schande erlebt, solche Thaten eines Volkes registriren zu
müssen! —
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1899/0014