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20 Psychisobe Studien. XXVI. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1899.)
wurden viele Elemente des Heidenthums in christliche
Symbole umgewandelt, die das Volk aber nie und nimmer
als solche verstand. Das Heidenthum hatte die Naturkräfte
vergöttert; das Christenthum mit seiner Lehre vom
Sündenfall sah in dieser Götterwelt nur das Werk böser
Dämonen, und fortab tritt an Stelle der göttlichen Magie
eines Empedocles, Pyihagoras u. s. f. das diabolische Zauberwerk
; statt der herrlichen Sonnenblume, die sich in den
Strahlen des Welturquells badete, sprossen an dunklen
Mooren dämonische Sumpf- und Giftpflanzen auf, mit ihren
Miasmen ganze Jahrhunderte verpestend. — Besonders klar
und deutlich sehen wir das in dem Zeitabschnitt vom
fünften bis Ende des sechzehnten Jahrhunderts: dem
Mittelalter. Papstthum und Kaiserthum waren die beiden
Pole, um die sich das ganze geistige und sociale Leben
bewegte; wie dieser durch den Adel das leibeigene Volk
in Banden hielt, so jener durch den Priester. Gleich
Ludwig dem XIV. sagte der Papst: — „Die Eeligion bin
ich!" und zu Gott konnte man nur durch die Gnade
des Priesters gelangen. Hierarchie und Adel hatten sich
verbündet und unterdrückten despotisch das Volk; dieser
durch die Hetzpeitsche der Leibeigenschaft, jene durch das
Dogma der Sündenvergebung, und so sehen wir, dass die
geknechtete, geschändete, verkrüppelte Volksseele, der man
die Erde zum Thränenthal gemacht und den Weg zu Gott
versperrt hatte durch den Schatten des Priesters, ihr Heil
bei dem sucht, was sie äusserlich längst überwunden hatte:
bei den alten Göttern, die aber jetzt nicht mehr in den
lichten Höhen Walhalls, sondern da wohnen, wohin die
Kirche sie gestossen hatte: in der Hölle und zu Teufeln
geworden sind. So betrachtet sind Zauberei und Hexenwesen
eine That der Verzweiflung: der Geist war zum
Gespenst geworden! Als es zu spät war, sandte die Kirche
gegen die Irrlichter des Manichaeismus die Flamme des
Scheiterhaufens aus, und siehe, die grössere Flamme frass
die kleinere, und es begann ein furchtbares Morden, Sengen
und Brennen. • .
Wenn man sich in die Abgründe des Mittelalters
vertieft, steigt es gleich den Miasmen eines faulenden
Menschenleichnams auf, vermischt mit dem Geruch von
verbranntem Menscbenfleisch. Herrschten auf körperlichem
Gebiete Syphilis und Pest und Hungersnoth, so auf
geistigem Dämonomanie, Zauber und Hexenwerk. Und
Einiges aus diesem zweiten Gebiete wollen wir nun dem
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