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Dankmar: Curiosa aus der Teufels-Periode des Mittelalters. 23
Tochter.*) Im Jahre 1603 spielt vor dem obersten Gerichtshofe
zu Bordeaux der Prozess gegen Jean Grenier, unter
Vorsitz des Präsidenten d'Affts, dessen Ausgang den Richtern
alle Ehre macht. Nachdem die Bauernmädchen Poierier und
Gaboriant von dem Viehhüter Grenier, dem Sohne eines
Arbeiters (aus St. Antoine de Pizon) aus dessen erster Ehe,
mit Liebesanträgen verfolgt worden waren, überfallt er die
Mädchen als Wolf, die sich aber seiner erwehren und
flüchten. Da nun Grenier vorher sich seiner Werwolfschaft
offen gerühmt hatte, wird er eingezogen und gesteht, dass
er von einem Nachbar dem Teufel im Walde vorgestellt
worden sei, diesem gehuldigt und von ihm Salbe und
Wolfshaut empfangen hätte; an einer jetzt unempfindlichen
Stelle habe der „Herr vom Wälde" ihn mit seinem Jagdspiesse
gezeichnet, und fortab sei er als Wolf umhergelaufen.
Ausser dem Nachbar, der Grenier initiirt, sei auch sein
Vater ein Wolfsläufer, und dessen Frau zweiter Ehe habe
sich von jenem getrennt, weil er in ihrer Gegenwart Glied-
maassen von Hunden und kleinen Kindern erbrochen habe. *
Grenier) der gewöhnlich nur bei abnehmendem Monde läuft,
erklärt: er sei nur so lange in Wolfsgestalt, als ihn sein
Meister im Gesicht behalte. Er gesteht, wie viele Kinder
und Hündinnen er getödtet und angefallen, was für
Wunden er den Angefallenen beigebracht, den Ort, wo er
sie überfallen habe, die Hülfe, die den Opfern geleistet
worden sei, die Worte, welche diejenigen gesprochen hätten,
die ihn verscheucht u. s. f. Mit den Eltern der Opfer und
den Ueberfallenen confrontirt, ergiebt sich die vollständige
Richtigkeit seiner Aussagen; die Leute wollten theilweise
einen Wolf gesehen haben, theilweise erkannten sie Grenier
wieder. Der Gerichtshof verurtheilte den idiotenhaften Angeklagten
, in Anbetracht seiner Unzurechnungsfähigkeit,
nicht zum Tode, sondern zu lebenslänglicher Internirung
in ein Kloster. De Lauere, der uns das alles berichtet,
besuchte daselbst sieben Jahre nach dem Prozess Grenier
und fand einen geistig zurückgebliebenen Menschen vor, mit
scheuem, unstetem Blick, tiefliegenden Augen, langen, ungewöhnlich
breiten, vorstehenden Zähnen und langen,
krallenartigen, schwarzen Nägeln. Grenier erinnerte sich
seines früheren Zustandes sehr wohl und meinte naiv: das
Fleisch junger Mädchen sckmecke besser als das von
Hunden; auch jetzt noch verspüre er Lust, Menschenfleisch
zu essen, und seine grösste Sehnsucht war, Wölfe zu sehen.
*) J. v. Görres: „Die ehristüche Mystik." ßd. IV, 2,484. Benütze
die älteste Ausgabe von 1836.
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