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Was uns Noth thut!
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zur leuchtenden, nie erlöschenden, immer mächtiger sich
entfaltenden Flamme zu entfachen die uns von Gott gesetzte
Aufgabe für dieses Leben bildet.
In inbrünstigem Gebet im stillen Kämmerlein, in andachtsvoller
Stimmung im erhabenen Gotteshause, unter
den in tiefster Seele widerklingenden Tönen edler Musik
und erhabenen Gesangs, vor allem aber, wenn wir allein
sind in Gottes freier Natur und in den göttlichen Geist
des Friedens, der Liebe und der Harmonie, der in ihr
allüberall ergreifend uns entgegentritt, uns andachtsvoll
versenken, da fallen die dunklen Schlacken, wie sie das
Alltagsleben mit seinen Mühen und Sorgen, seinen Kämpfen
und Leidenschaften erstickend auf die Seele wälzt, darnieder.
Und von dem reu erglühenden göttlichen Feuer in der
Brust lösen sich geheimnissvolle Strahlen los, die ein
wunderbares magnetisches Band schlingen zwischen unserem
eigenen seelischen Ich und dem ewigen, allliebenden und
allumfassenden Gottesgeiste; es ist das Band der Sehnsucht
nach einer ewigen Heimath, das Band, das uns aus diesem
Leben voll Müh und Sorge, voll Gram und Qual, voll
Kampf und Streit emporzieht zu einem Lande der Liebe
und des Friedens, zu seligen, lichten Höhen, und das uns
so recht die Wahrheit der Worte des Liedes empfinden
lässt: „Die Heimath der Seele ist droben im Licht!"
Dieses Band der Sehnsucht, das dem heiligen Feuer
unserer Brust entspriesst und uns nach oben, nach dem
Lichte zieht, das ist der Kompass, der von Gott dazu
bestimmt ist, uns in diesem, wie in jenem Leben den Weg
zu zeigen, der zu ihm, zu immer höheren Regionen des
Lichtes führt. Leider haben so viele heutzutage diesen
Kompass verloren! Eitelkeit, Genusssucht, Neid, Hass und
Zank und zahllose andere finstere Mächte des Lebens haben
oft schon in der Jugend den göttlichen Funken in der Brust
unter steinigem Geröll vergraben und nun taumelt der
Mensch haltlos und ziellos dahin!
Glück und Freude, das ist es, worauf zunächst das
Bingen und Streben fast aller sich richtet. Aber wie wenige
erreichen trotz allem Bingen das Ziel ihrer Wünsche, und
wenn sie es erreicht ist es dann auch wirklich das Glück,
wonach sie sehnend gestrebt? Ist nicht fast immer Enttäuschung
und neuer Unfriede in der Brust der ganze
Gewinn? Wahrhaft edle und reine Freuden, Freuden, die
keinen Ekel als bittere Hefe zurücklassen, sind ja nur die,
welche wir in der Tiefe unserer Seele mitempfinden und
welche hier geheime harmonische Saiten wecken. Und das
höchste Glück, das uns das Leben zu bieten vermag, es
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