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42 Psychische Studien. XXVI. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1899.)
wird uns dann, wenn eine heilige Begeisterung für das Edle
und Schöne unsern Busen schwellt oder wenn zwei gleichgestimmte
, in reiner, heiliger Liebe erglühende Seelen harmonisch
ineinander klingen. Dieses Glück vermag aber nur der zu
empfinden, in dessen Brust der göttliche Funke lebendig ist.
Wo dieser erstorben ist im Trubel der Welt, da gehen die
Menschen, während sie glauben von Genuss zu Genuss zu
taumeln, gerade an den höchsten und edelsten Genüssen
dieses Lebens verständnisslos vorüber.
Freilich, es ist in den meisten Fällen nicht blos die
eigene Schuld des Menschen, wenn er dieser reinen und
edlen Freuden des Lebens nur selten oder niemals theil-
haftig wird. Bei dem einen ist es eine vernachlässigte oder
verkehrte Erziehung, welche den göttlichen Funken in der
Brust nicht zur Entwickelung kommen Hess oder ihn schon
frühzeitig erstickte, bei dem anderen ist es der nimmerruhende,
aufreibende Kampf mit der Noth tmd Drangsal des Lebens,
welcher die Schwingen der Seele lähmt und das heilige
Feuer in der Brust erkalten lässt. Wer ihn jemals schon
empfunden hat, den bleiernen Druck der Sorge um das
tägliche Brod, für den Unterhalt geliebter Angehöriger, das
quälende Bewusstsein, dringenden Verbindlichkeiten nicht
nachkommen zu können, der wird begreifen, dass es auch
für den noch nicht im Sumpfe des Lebens versunkenen
Menschen in solchen Fällen schwer hält, das Herz dem
Schönen zu öffnen und sich für das Hohe und Edle zu
begeistern. Wenn man daran denkt, dass mit dem, was
manche oft in einer Stunde in der unsinnigsten und leichtfertigsten
Weise vergeuden, hundert Andere von jenem auf
ihnen lastenden seelischen Drucke befreit werden könnten,
dann kann man sich eines bitteren Gefühles oft kaum
erwehren und man wird sich sagen, dass in dieser, wie in
vielen anderen Beziehungen noch vieles in unserem gesellschaftlichen
Leben besser werden muss. Doch davon später!
Noch ein Drittes ist es, wodurch — namentlich in
heutiger Zeit — in gar vielen der göttliche Funke erstickt
und dieselben ihres berechtigten Antheils an den edleren
Genüssen dieses Lebens beraubt werden. Das ist die
systematische, geflissentliche Aufreizung zu Neid
und Hass, wodurch die Gemüther vergiftet und zu jedem
höheren Empfinden unfähig gemacht werden. Ganz un-
ermesslich ist das Elend und Unglück, das durch diese
systematische Vergiftung der Gemüther sowohl im Seelenleben
und im Familienieben des Einzelnen, wie in unserem
ganzen gesellschaftlichen Leben angerichtet wird. Wer Wind
sät, wird Sturm ernten und wer Hass sät, wird das Verderben
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