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Litteraturbericht
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A. Besprechungen.
Dr. Freiherr*.von Sehr enck-Notzing. Zur Methodik bei
mediumistisclien Untersuchungen. Sonderabdruck
aus lieft i und 2 der Zeitschrift für Okkultismus. 20
Seiten. Der Aufsatz des Münchener Pathologen gehört zu dem Besten,
was in den letzten Jahren in Deutschland in diesem Gebiete veröffentlicht
worden ist. Es ist eine in jeder Hinsicht vorzügliche Arbeit, deren Lektüre
ich jedem Psychologen empfehle. Aus diesem Grunde verzichte ich
auch auf die Wiedergabe seines Inhalts. Hervorzuheben ist die vorurteilslose
Kritik des vor kurzem erschienenen Lehmann*sehen Werkes
(Aberglaube und Zauberei). Wünschenswert wäre es gewesen, dass der
Verfasser auf einige Punkte, wie z. B. das Erfordernis der Dunkelheit
lS. 16) näher eingegangen wäre. Gerade in diesem Gebiete wäre eine
nähere Stellungnahme gegenüber der nicht fehlerfreien du .Preschen Monographien
angebracht gewesen. Schliesslich erschien mir, selbst bei wiederholter
Lektüre, die Arbeit nicht ganz übersichtlich. Diese unbedeutenden
Schattenseiten fallen aber gegenüber dem hohen Wert des Aufsatzes nicht
ins Gewicht Dr. Erich Bohn.
JuHtinus Kerner. Die Geschichte des Mädchens von Or-
lach. 1898. Schwab. Hall bei Wi th e Im G erm an. Mit 2
Bindern. 98 Seiten. Das kleine Werk enthält einen Neudruck der
„Geschichte des Mädchens von Orlach" von Justinus Kerner und eine
Zusammenstellung von zeitgenössischen Urteilen über diese Schrift. Eine
Kritik des iteroir'schen Aufsatzes ist unangebracht. Er fallt ins Gebiet
der Schauergeschichten und hat fast nur noch kulturhistorisches Interesse.
Es gehört ein bedenkliches Mass von Naivetät dazu, die Halluzinationen
einer Hysterischen oder Geisteskranken ernst zu nehmen. Für den Psychologen
sind sie infolge schlechter Beobachtung ohne Wert. Fromme Gemüter
, die in schauerlichem Grusel Befriedigung für etwaige geistige
Bedürfhisse finden, werden auf ihre Kosten kommen. Die fleissige Zusammenstellung
zeitgenössischer Urteile über die erwähnte Schrift verdient
anerkennend hervorgehoben zu werden. Dr. Erich B oh n%
Max Helling, Professor. Meine Erfahrungen auf dem
Gebiete de s S pi ri tismus. 107 S. Leipzig, 1898 (Oswald
Mutze). Das Buch verfolgt augenscheinlich den Zweck , Laien mit
einigen in das Gebiet des sogenannten „Spiritismus*4 fallenden Thatsachen
und Problemen bekannt zu machen. Im Hinblick auf diese Tendenz wäre
es unangebracht, an dasselbe den Masstab wissenschaftlicher Kritik anzulegen
. Die sechs Aufsätze, aus denen es besteht, sind durchweg interessant
geschrieben. Sachlich liesse sich freilich vieles dagegen einwenden.
Besonders hat mich der gereizte Ton gestört, in dem der Verfasser gegen
die Fachpsychologie polemisiert. Den Schopenhauer*sehen Holzkomment
in seinem Essai über die Universitätsphilosophie sollte man sich doch nicht
zum Muster nehmen. Dass der Verfasser die mediumistischen Phänomene
im Sinne du PreVs zu philosophischen Spekulationen verwendet, halte ich
für einen grundsätzlichen Irrtum. Unrichtig ist auch die Bezeichnung
der supernormalen Phänomene als „spiritistische", wodurch den Thatsachen
von vornherein eine bestimmte Erklärungsform aufgedrückt wird. Das
2. Kapitel, das einige Ergänzungen zu dem Dematerialisationsphänomen
der Mrs. d'FtperaJice (Psych. Stud. 1895) giebt, und das 3. Kapitel über
„automatisches Schreiben" , sind auch für den Psychologen von Interesse.
Die Beobachtungen über automatisches Schreiben bilden den besten Teil
des Buches. Sie entbehren zwar der wissenschaftlichen Exaktheit und
können daher keine Grundlage für wissenschaftliche Ergebnisse bilden,
enthalten aber Beobachtungen, die als Ausgangspunkt für künftige Experimente
nicht zu unterschätzen sind. Dr. Erich Bohn.
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