http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1899/0089
Dankmar: Curiosa aus der Teufels-Periode des Mittelalters. 81
einem vertrauten Umgang mit den Thieren bewogen, und
tägliches Beisammensein üben sie im Erlauschen und
Beobachten aller ihrer Eigenschaften. Damals wurden eine
Menge nachher verlorener oder geschwächter Beziehungen
zu den Thieren entwickelt." (Aus dieser phantastischen
Vorzeit entstand auch die Thierfabel.) Geistig Hochstehende
werden n i e Zoanthropen gewesen sein, — sondern
einsam lebende Jäger oder Hirten, die viel mit Heerdenvieh zu
thun hatten, und für die, weil sie vielleicht in einer wolfsreichen
Gegend lebten, eben der Wolf die beständige Sorge ihres
sonst stumpfen Daseins war; mit ihrem Feind, dem Wolf
beschäftigte sich ausschliesslich ihre Phantasie, und so kann
durch eine physische und psychische Depravation dieser
einsamen Verwilderten leicht der Wahn sich in ihnen ausgebildet
haben: sie seien selber Wölfe. Sie werden zuerst
Wölfe nachgeahmt haben, dann wird, wie Leubuscher sagt,
„durch eine perverse Sensation ihrer peripherischen Hautnerven
" das Gefühl des Wachsens der Haare entstanden
sein; es wird der scheussliche Trieb des Anthropophagen
und Sodomiten sich in ihnen entwickelt haben, und so wird,
verstärkt durch den Anblick von in gleichem Zustande
Befindlichen, der pathologische Wahn sich in ihnen befestigt
haben, wirklich zeitweilig in einen Wolf verwandelt zu
werden. Diese Entfremdung der eigenen Persönlichkeit
(= animistische Besessenheit) setzt eine furchtbare
Verwilderung des Gemüths voraus, so dass es bis zur
Anthropophagie, zum Pressen von Menschenfleisch kommt;
bei Leubuscher, Griesinger, Reil finden wir genug Fälle, wo
sogar sonst anscheinend Vernünftige Menschen morden,
Mor um sie zu verzehren; so z. B. tödtet eine schwangere
Prau ihren sonst geliebten Mann mit Vorbedacht, verzehrt
ihn theilweise und salzt das Uebriggebliebene ein zur
besseren Conservirung. Diese Grausamkeit mischt sich oft
und oft mit einer entsetzlichen Wollust, und zwar mit dem,
was Professor fVestphal zuerst mit dem Ausdruck: conträre
Sexualempfindung bezeichnet hat; und Hofrath Krafft-Ebing
nennt eine Abart davon Algolagnie (== Schmerzgeilheit),
welche sich activ, wie in der Werwolfsmanie, als grausamer
Sadismus, der den Gegenstand seiner Wollust zerfleischt,
zeigt. Sadismus nennt man diese perverse Bethätigung des
Geschlechtstriebes nach dem berüchtigten Marquis de Sade
(f 1814), dessen von Wollust und Grausamkeit triefende
Komane ein Musterbild activer Algolagnie bieten. Krafft-
Ebing definirt den Sadismus „als eine pathologische Steigerung
von — andeutungsweise auch unter normalen Umständen
Psychische Studien. Februar 1899. 6
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1899/0089