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82 Psychische Studien. XXVI. Jahrg. % Heft. (Februar 1899.)
möglichen — Begleiterscheinungen der psychischen Vita
sexualis, insbesondere der männlichen, ins Masslose und
Monströse." Diese Association von Wollust und Grausamkeit
ist eine allbekannte, nicht selten zu beobachtende Thatsache
und sie durchläuft alle Steigerungen von symbolischen Akten
bis zu Misshandlungen (Plagelliren u. s. f), Lustmorden,
Anthropophagie, ja sogar bis zur Leichenschändung. Als
älterer Fall will ich den Marschall Gilles de Rays anführen
(1440), der, nachgewiesener Massen, in acht Jahren
800 Kinder schändete und tödtete. (Passiv äussert sich
diese perverse libido sexualis im Erdulden der Schmerzen,
welche Einem die geliebte Person zufügt, als Masochis-
mus; so genannt nach dem Schriftsteller Sacher-Masoch, in
dessen Novellen und Romanen klassische Darstellungen dieser
Perversion enthalten sind.*) Oft und oft ahmen Wahnsinnige,
die sich für Thiere halten, deren Stimmen, deren Gewohnheiten
nach, und zwar in bewundernswerth natürlicher Weise.
Unglückliche, die von wuthkranken Hunden gebissen worden
sind, oder sich einbilden, von solchen gebissen worden zu
sein, bellen, beissen und schnappen in ihren Paroxysmen. —
Sowie das Gehirn eines mikrocephalen Idioten als ein
Rückschlag in die Affennatur unserer Urerzeuger aufgefasst
werden imiss, so giebt es atavistische Rückschläge, welche
einen ausgesprochenen, habituellen Thiertypus darbieten: so
z. R berichtet Griesinger (nach Pinel), dass ein junges
Mädchen sich in ihrem Aussehen und in ihren Gewohnheiten
ganz und gar einem Schafe näherte\ ihre Kopfform war die
eines Schafes, im Streite stiess sie mit dem Scheitel ihres
Kopfes nach Anderen, ihr Körper war mit weichem, 1 bis
2 Zoll langem, wolligem Haar bekleidet, und ihre Sprache
bestand in dem Ausruf: „be ma tante, be!" Ich erinnere ferner
an die hochmerkwürdige Thatsache, dass es Fälle giebt, wo
der Embryo von Frauen Ansätze zu Hörnern zeigt,
*) Professor Emil Kraepelm: — „Psychiatrie." V. Auflage 1896,
S. 186—191; 779—788. Professor Krafft-ttbing definirtin seinem massgebenden
Werke den Masochismus (oder die geschlechtliche Hörigkeit
) „als die Richtung des Geschlechtstriebes auf den Vorstellungskreis
der Unterweifung unter und Misshandlung durch das andere tieschlecht."
Dabei werden Deiniithigungen und Misbhandlungen geradezu aufgesucht,
zum Zwecke sexueller Befriedigung; Kra'jt-Ebing unterscheidet that-
sächlichen, symbolischen, ideellen und larvirten Masochismus." — In
der Litteratur linden wir ein vollkommenes Gemälde des fürchterlichsten
weiblichen Sadismus in ü. v. Kleists i „Penthesilea" und derselbe
Dichter giebt uns in seinem „Käthehen von Heilbronn" ein Musterbild
(einer Somnambulen und) eines weiblichen Masochismus. — Man
sehe R. v. Krafft-Ebing % „Psychopathia sexualis" (10. Auflage. 1898.)
p. 54-137.
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