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Dr. Maier: Naturwissenschaftliche Seelenforschung. 93
zweiten Bandes des Müller'schen Werkes näher bekannt zu
machen. Derselbe behandelt in drei Abschnitten die vorläufige
Umgrenzung des Bewusstseinsbegriffs, die ersten
experimentellen Inschau-Versuche über die Vorgänge der
Bewusstwerdungen und Willensimpulsirungen, sowie andere
Inschau-Experimente, sodann die Empfindung im allgemeinen
und das psychologische Grundgesetz, endlich Wahrnehmungen
und Gefühle (der Vorstellungen objektivischen und sub-
jektivischen Theil), Subjekt und Objekt und schliesslich das
Verhältniss der Psychologie zur Wissenschaft. Mit Rücksicht
auf die Wichtigkeit des Gegenstandes gerade für eine
psychologische Zeitschrift werden wir in genauem Anschluss
an den Gedankengang des Verf. die wichtigsten seiner
Forschungsergebnisse, soweit es der Rahmen einer Uebersicht
gestattet, unseren Lesern mitzutheilen versuchen:
Manche Erkenntnisse, so beginnt Verf. den uns vorliegenden
zweiten Band, bedürfen einer langen Zeit, ehe sie
sich soweit Geltung verschaffen, dass sie als aneikannt, ja
selbstverständlich erscheinen. Weder Copernicus noch Galilei
ward es leicht ihre Zeitgenossen zu überzeugen, dass die
Erde eine freischwebende Kugel sei, obwohl die übrigen
sichtbaren Himmelskörper an die Kugelgestalt gemahnten.
Kein Mensch kann von der Erde los, etwa zum Mond
hinauf, um die ganze Erdkugel vor sich zu sehen und mit
einem Blick überschauen zu können. Aehnlich scheint es
uns mit unserem Bewusstsein zu gehen. Ein jeder steckt
gleichsam in seinem eigenen Bewusstsein, er will aber aus
demselben hinaus und es sich von einem anderen Standpunkte
, objektiv betrachten, um es kennen zu lernen.
Sagt man ihm aber, dass ja jeder wachbewusste lebende
Mensch gleichfalls Bewusstsein habe, so will er wieder in
den anderen hinein. Er hat das Bewusstsein in sich subjektiv,
in seinem Nebenmenschen objektiv und dennoch will er sich
nicht begnügen, er sucht ... ja was sucht er denn eigentlich
? — Es giebt einige, die das Bewusstsein losgelöst von
dem Organismus, an welchem es zur Kundgebung gelangt,
sehen wollen, wie etwa Kinder in den Bestandteilen der
Kerze die Flamme suchen. Andere, zu denen sich auch
Verf. rechnet, wollen angesichts der Thatsache, dass die
BewusstseinsVorgänge und insbesondere die Willenskundgebungen
wirkliche Geschehnisse sind, deren Kausalität
kennen lernen. Die Ursachen und die Bedingungen der
Entstehung einer Erscheinung machen deren Kausalität
aus; jede Erscheinung ist das Produkt der zu einem
bestimmten Verhältniss vereinigten Energien, die in ihren
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