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140 Psychische Studien. XXVI. Jahrg. 3. Heft. (März 1899.)
hohen sittlichen, psychologischen Problems bedeute, indem
sie den kategorischen Beweis dafür liefere, dass mit dem Tode
durchaus nicht gleich Alles aus sei, dass mit ihm vielmehr
ein neues, wahres Leben beginne, ein ausschliessliches
Seelenleben, auf das jede menschliche Seele ohne
Unterschied der Person in der Protestzeit vorbereitet werde,
und zwar unter unbeschreibbaren, seelischen Qualen
und Schmerzen. Denn es ist leider nicht zu bezweifeln,
dass der vermeintlich Todte alle Vorbereitungen, die zu
seinem Begräbnisse getroffen werden, mit grösster Deutlichkeit
, in allen Einzelheiten wahrnimmt, dass er vernimmt,
was von seiner Umgebung über ihn gesprochen wird, dass
er auf diesem Wege die wahren von den falschen Freunden
unterscheiden lernt, dass er zugleich auch eine entsetzliche
Furcht vor dem Lebendigbegrabenwerden empfindet — und
dass er dies Alles in einem Maasse fühlt, das unheimlich
wächst, je näher der Augenblick des Abschiedes seiner
gemarterten Seele vom Körper heranrückt. E. Friedrich nennt
diesen furchtbaren Zwischenzustand die „Vorhölle" oder
das „Fegefeuer" (Vogifeuer), in welchem die Seele
vorläufig gereinigt, provisorisch vorbereitet wird auf
ihre erbarmungslose Isolirung, auf eine Vereinsamung
sondergleichen. Bedingt wird diese traurige
Vereinsamung der menschlichen Psyche durch eine Baumveränderung
der Gehirnmoleküle, deren Zusammenziehung
, Verdichtung durch die wachsende Todeskälte
natürliche Zwischenräume schafft, die die Flucht der aus
gewissen, kleinsten Aethertheilcben und deren Schwingungen
bestehenden Seele des Menschen rein physikalisch vermitteln.
In dem Folgenden will ich Herrn E. Friedrich selbst
sprechen lassen, den kennen zu lernen ich unlängst Gelegenheit
hatte. Der Inhalt einer Unterredung mit ihm hat bei
Gelehrten und Laien grösste Theilnahme und Beachtung
gefunden und ich möchte deshalb die E. Friedrich*sehen
Anschauungen über Leben und Tod und andere
metaphysische Piobleme hiermit noch weiteren Kreisen gern
zugänglich machen. —
Ich: Herr Doctor, zu allernächst, was verstehen Sie
unter Verstand oder Geist, was unter Seele oder Gedächtniss?
E. Friedrich: Nach meiner Erkenntnisstheorie unterscheide
ich ein doppeltes Begriffsvermögen, einmal das geistige,
Begriffsvermögen, d. i. das Vermögen zu begleiten
und dann das seelische Begriffsvermögen, d. i. das
Vermögen, das Begriffene zu behalten, nicht zu vergessen.
Mit der Zeit, durch äussere Eindrücke, durch Erfahrung
aller Art entsteht dann allmählich das Gedächtniss als
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