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156 Psychische Studien. XXVI. Jahrg. 3. Heft. (März 1899.)
bedingenden Gehirnvorgänge einen Einblick zu gewinnen,
fasste er den Entschluss alles daran zu setzen, um zunächst
über den Unterschied einer bewussten und einer unbewusst
verlaufenden Empfindung Aufklärung zu erlangen, indem er
sich sagte, dass, falls es ihm gelänge auch nur bei einer
einzigen Fibrille über die Kausalität der
Bewusstwerdung ihrer Erregung etwas zu
erfahren, damit auch der Schleier über das grösste
psychologische Problem, über das Wesen des Bewusstseins,
gelüftet wäre. Am besten geeignet zur Untersuchung
erschienen ihm die Sehnerven, da unter allen unseren
Sinnesapparaten der Sehapparat weitaus der wichtigste ist.
Die Inschauerin verfolgte auch den Verlauf des Sehnervenstranges
von seinem Austritt aus dem Augapfel als Ganzes,
wobei sie zur Verwunderung ihres Hypnotiseurs auch durch
die Kreuzung der beiden Sehnervenstränge im Ohiasma
nicht aufgehalten wurde, welches nach ihrer zwar der
Sehuimeinung widersprechenden, aber schon durch ihre
Einfachheit einleuchtenden Darstellung den Zweck hat, die
Sehfunktion beider Augen zu einer gleich-
mässigen zu gestalten, während nach der offenbar
gesuchten und gekünstelten gewöhnlichen Annahme das
neugeborene Kind nicht nur alle Gegenstände verkehrt
sehen, sondern auch so auffassen und erst mit der Zeit, wenn
die anderen Sinnesorgane, insbesondere der Tastsinn seinen
Gesichtswahrnehmungen zu Hilfe kommen, die subjektive
Sehempnndung des Verkehrten, die bisher bei den Naturwissenschaftlern
so wenig wie bei den Philosophen eine
plausible Erklärung fand, in seinem Bewusstsein als ein
Aufrechtes auffassen würde. Dagegen beharrt die Inschauerin,
obschon sie davon in Kenntniss gesetzt wurde, dass es in
Lehrbüchern anders heisse, sehr entschieden auf der
Richtigkeit ihrer Wahrnehmung, dass der Nervenstrang
des rechten Auges im Ohiasma dem des linken
Auges aufliege und vollständig auf die andere
Seite hinübertrete. Wenn man die vom Verfasser auf
8. 209 zur Veranschaulichung dieser entgegengesetzten
Behauptungen beigegebenen Figuren betrachtet, so leuchtet
dem Laien die durch hypnotische lnschau gewonnene Darstellung
schon durch ihre Einfachheit so sehr ein, dass wir
selbst hierin eine höchst bedeutsame wissenschaftliche Entdeckung
erblicken zu dürfen glauben, wenn wir auch deren
Würdigung, bezw. Anerkennung selbstredend der sachkundigen
Prüfung der Ophthalmologen überlassen müssen, die sich
hoffentlich mit dieser neuen Anschauung, die ja mindestens
ebenso möglich ist, wie die bisher angenommene und über-
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