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170 Psychische Studien. XXVI. Jahrg. 8. Heft (März 1899.)
durch geschlechtliche Begattung als durch Urzeugung.
Die Natur aussei t sich aber nicht nur heilend und schaffend,
sondern auch spielend und zerstörend. Die spielende Magie
(zu welcher Verfasser nach seinem damaligen Standpunkte
auch das, was von „spiritistischen Gauklern" verübt wurde,
rechnet), stehe gewissermassen in der Mitte zwischen
schaffender und zerstörender Magie. Der Magnetiseur
beherrscht das Medium durch seinen Willen, aber der Wille
vertritt hier ganz dasselbe wie bei der Beilwirkung der
Glaube, er bedingt das ßedürfniss.
Wenn aber die Natur im Stande ist, durch blosses
Bedürfniss eine Stoffbewegung einzuleiten und so la^ge fortzusetzen
, bis das dem Bedürfniss entsprechende vollendet
ist, so muss sie auch im Stande sein, die Entstehung einer
bestimmten Form, welche die umgebenden Umstände geeignet
erscheinen lassen, urplötzlich eintreten zu lassen, weshalb
Verfasser die Einzelentstehung der Gattungen sich durch
Urzeugung erklärt, so dass nicht nur die Abstammung,
sondern auch die Vererbung im Darwinschen Sinne gegenstandslos
würde. Darwin hätte aber die Uebertragung des
vorher Dagewesenen auf das Werdende von Stofftheilchen
zu Stofftheilchen oder auch eine Vervielfältigung der
Keimchen, gleichsam einen chemischen Mechanismus in seiner
Hypothese der Pangenesis nicht angenommen, meint der
Verfasser, wenn er das Gedächtniss als das aufgefasst
hätte, was es in Wirklichkeit ist. Im individuellen Gehirn
erreiche das Denken nur eine höhere Stufe im Werden der
Vernunft. Dadurch gelangen die sich aus der Vergangenheit
ergebenden Consequenzen zum mitwirkenden Faktor beim
Werden, zwar anfangs nur unvollkommener beim Thier,
aber bei der höherenEntwickelung vollkommener im Menschen;
diese Erinnerung nennen wir Gedächtniss, Vererbung kann
nichts anderes sein, als das Wiedererscheinen derselben oder
ähnlicher Organe und Eigenschaften durch die schon vorher
dagewesenen gleichen Ursachen. Jede Knospe in der
Pflanzenwelt, jedes neu entstehende Theilchen im Thierkörper
ist ein fortgesetztes Wiedererscheinen des schon Dagewesenen
durch immer wieder erneute Urzeugung. — Wenn es uns
auch nicht möglich ist, dem geistvollen Verfasser in allen
Einzelheiten seiner Ausführungen zu folgen, so wird doch der
aufmerksame Leser mit uns in dem Urtheil übereinstimmen,
dass es geradezu jammerschade ist, wenn ein so hervorragender
Denker durch die Ungunst der äusseren Verhältnisse
daran verhindert wurde, sich eine akademische Bildung
zu erwerben.
Dr. F. Maier.
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