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Dr. Maier: Naturwissenschaftliche Seelenforschung. 215
Von den Wahrnehmungen sind zu unterscheiden die
Vorstellungen. Wenn ich z. B. ein unbestimmtes Geräusch
höre, aber nicht sagen kann, woher es kommt, oder wenn
ich die direkte Blauempfindung habe, ohne zu wissen, was
es ist, so habe ich zwar Wahrnehmungen, aber noch keine
Vorstellung. Entstehen jedoch durch meine Sinneswahrnehmungen
zugleich bestimmte Bewusstseinsinhalte (wie
Trompete, Meer, Schmetterling) so sind dies starke, d. h.
wahrgenommene Vorstellungen, während die schwachen oder
gedachten Vorstellungen zwar im Bewusstsein (z. B. durch
Erinnerung) gegenwärtig, aber nicht unmittelbar wahrgenommen
, an ihre Nachbarschaft nicht nothwendig
gebunden sind. —
Wenn die repulsirten Neurocymen von verschiedenen
Gauglienzellen aus zugleich in den kommunicirenden
Fibrillen fluktuiren, so geschieht es, dass innerhalb des einen
oder anderen derselben die beiden Kraftströme sich begegnen
und aneinander stossen. Die Folge ist, dass sich an dieser
Stelle eine Stauung der Repulsionen, eine Doppel-
repulsion oder ein Repulsionsprodukt, kürzer ein
R e p u 1 s a t ergiebt. Solche Repulsate und ihre Spannungsverhältnisse
sind gleichbedeutend mit wahrgenommenen, d. i.
starken Vorstellungen. —
Unsere Sinnesapparate und ihre Empfindlichkeit bilden
für unser normales Bewusstsein die Grenze der Wahrnehmung
der in der Aussenwelt vor sich gehenden Ereignisse oder
eigentlich ihrer Vorstellungen, weil alles andere an ihr
möglicher Weise Vorhandene uns nicht wahrnehmbar ist.
Das Nicht-Wahrnehmbare und Nicht-Vorstellbare
ist aber nicht nothwendig zugleich ein Unexistentes,
ein Nichts. (Es entspricht, setzen wir hinzu, eventuell dem
X in der Mathematik, mit welchem man unter Umständen
rechnen kann, ja rechnen muss. Red.)
Erfahrt eine nur von einem Sinnesapparat ausgehende
Erregung eine Ergänzung durch Miterregung und Mit-
bewusstwerden von Empfindungen aussersinnlicher Herkunft,
so kann dieser Vorgang des Wiederauflebens einer Objektvorstellung
als K o 11 u s i o n i r u n g, d. h. Kompletirung der
wahrgenommenen Sinnesempfindung durch associative
lllusionirung des Bewusstseinsinhalts bezeichnet werden.
Da die Repulsate und ihre Verbindungsbahnen
immer wieder zur Herstellung des ihnen zu Grunde gelegenen
Spannungs Verhältnisses, oder, was dasselbe ist, der Vorstellung
des Erfahrungsgegenstandes verwendet werden können, so
haben wir nach der etwas gewagt erscheinenden Auffassung
des Verfassers dasjenige vor uns, was man als Ideen
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