http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1899/0234
224 Psychische Studien. XXVI. Jahrg. 4. Heft. (April 1899.)
Der gütigst uns eingesandte Bericht des indiscreten
Zeitungsreporters, den wir zur Bekräftigung der vom Herrn
Einsender zu Anfang seines Schreibens geäusserten, gewiss
richtigen Ansicht und zugleich der Curiosität halber zum
Abdruck bringen, lautete im „Frankfurter General-Anzeiger"
folgendermassen:
Eine Berliner Geister-Sitzung.
(Von unserem Berliner Büreau.)
Berlin, 10. November 1898.
Als ich gestern Mittag an einer Litfasssäule die Programme
der erlesenen Genüsse studirte, die die gute Kaiserstadt Berlin
diesen Abend ihren Getreuen zu serviren gedachte, fand ich
zwischen der Anzeige von Ernst v. WildenbrucK% „Quitzow's"
im Hoftheater und dem Versprechen eines märchenhaften
Festes in den Amor-Sälen einen kleinen blassrothen Zettel
eingeklemmt. Und der kleine blassrothe Zettel interessirte
mich bald mehr, als Wildenbruch und die Amor-Säle. Es
stand darauf zu lesen: .,Spiritistischer Verein: Neue Menschheit
. Demonstrative spiritistische Sßance. Abends 8% Uhr
im „Brandenburger Hof". Eintritt frei."
Dem freien Eintritt misstraute ich. Denn ich habe die
Erfahrung gemacht, dass die Vergnügungen die theuersten
zu sein pflegen, die officiell nichts kosten. Aber eine spiritistische
S6ance, eine Geistersitzung in der geistigen „Centrale"
— das musste doch sehr interessant sein. Mein Programm
für den Abend stand mithin fest.
Ich habe mich von jeher für Mystik und Spiritismus
interessirt. Ich habe mit Emanuel Swedenborg die Geisterwelt
an jenem Mittelort zwischen Himmel und Hölle gesucht, wo
er sie lokalisirte; habe mit Jung-Stilling versucht, den Geist
mit dem Nervengeist vom Körper frei zu machen, und mit
Justinus Kerner verwundert am Bett der Friederike Hauffe,
der Seherin von Prevorst, gesessen. Die verworrenen Schriften
Andrew Jackson Davis', der bekanntlich den Spiritismus in
Amerika begründete, sind mir — wenigstens in deutschen
Auszügen — nicht fremd geblieben, und ich habe mich an
der Hand dieses autodidaktisch gebildeten Sohnes des versoffenen
Flickschusters von ßlooming - Grove aus meinem
Zustand der UnVollkommenheit bemüht, mich in die „andere
Sphäre'* aufzuschwingen. Ich stehe dem Spiritismus skeptisch,
aber durchaus nicht unsympathisch gegenüber, und viele
Thatsachen, die Alfred Rüssel Wallace und in neuester Zeit
Carl du Prel angeführt haben, halte ich weder für unsinnig
noch erlogen oder auf bewusster oder unbewusster Täuschung
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1899/0234