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236 Psychische Studien. XXVI. Jahrg. 4. Heft. (April 1899.)
Augenblicke an in beständiger Fühlung mit sich hält. Was
er bietet? Im Grunde genommen alles, was ein ordentlicher
Zauberer bieten muss. So lässt er z. B. ganze Körbe voll
frischer Blumen aus einem fremden Hute herauswachsen,
greift weisse Billardbälle aus der Luft und verwandelt diese
vor den Augen seiner Zuschauer in rothe, färbt in einer
Papierhülse gelbe Tücher blau und die blauen wieder roth,
eskamotirt Kanarienvögel aus einem Bauer und zieht unter
seinem Prack ein halbes Dutzend Fischgläser mit lebenden
Goldfischen hervor. Noch erstaunlicher sind seine indischen
Experimente. Ein einfaches Brett wird inmitten des Podiums
auf die Lehnen zweier Stühle gelegt. Darauf nimmt eine
phantastisch gekleidete Dame Platz, die alsbald unter dem
Hokuspokus ihres Meisters in einen — scheinbaren —
hypnotischen Schlaf verfällt. Nun aber das Wunderbare.
Das Brett hebt sich sammt der darauf liegenden Dame
langsam von den Stuhllehnen auf, die Stühle werden fortgenommen
, und Brett und Dame schweben völlig frei in der
Luft. Eine noch so verborgene Stütze kann kaum vorhanden
sein; denn Meretti geht rings um das schwebende Wunder
herum und fährt mit einem Palmwedel darunter und darüber
hinweg. Das Publikum staunt, einige lächeln ungläubig,
aber erklären kann sich's Niemand. Dass ein solcher
Wundermann auch Oelbilder und Puppen singen lässt, kann
nach dieser Probe seiner Kunst nicht überraschen; nur ist
hier die Erklärung einfacher, weil Herr Merelli über die
angenehme Gabe des Bauchredens verfügt. Zum Schlüsse
endlich verbrennt der Zauberer eine indische Wittwe coram
publico zum Skelett, stellt dieses in eine rabenschwarze
Grabkammer und verwandelt es dann — sehr zur Beruhigung
der Damen — wieder in seine frühere Gestalt.*) — Da die
Gegner des Spiritismus nicht ermangeln werden, auch diese
Vorführungen zu Gunsten ihrer immer von neuem wiederholten
Behauptung zu verwerthen, wornach der ganze
*) Unterzeichneter hatte inzwischen Gelegenheit, diese neueste
„Attraktion** des ihm schon von früher her durch seine fast kindischen
antispiritistischen Demonstrationen (Hebung eines offenbar magnetisch
beeinflussten Tischchens, „Spiritorium" etc.) wohl bekannten „Zauberers"
am hiesigen Orte selbst sich anzusehen. Merelli versichert, dieses Wunder
der indischen Yogis und Rhisis an der Quelle in Bombay und Kalkutta
studirt zu haben und giebt sich den Schein, seine wohlbeleibte
Begleiterin zu hypnoüsiren. Ohne Zweifel steckt aber auch hinter
dieser Imitation ein verborgener Tric, sei es nun, dass mit in den
Kleidern, bezw. dem Brett versteckten Magneten operirt oder dass eine
wegen der aus schwarzem Sammt hergestellten "Rückwand unsichtbar
bleibende Stütze angebracht wird, an welcher der leichte
Palmenwedel unbemerkt oder auch garnicht anstossen würde.
Tübingen, 12. März 1899.
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