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Kniepf: Zur Physik der Astrologie
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Wenn sich unsere Forscher um diese Dinge ebenfalls
mehr kümmerten, so würden sie z. B. wissen, dass man die
Dioskuren auch am Himmel erblickte, wo sie durch das
Sternbild der Zwillinge versinnlicht sind und durch deren
Zeichen im Thierkreise ihre elektro-magnetische Wirkung
noch heute bewähren* Es ist das Zeichen des Merkur und
bekannt durch seine, für die praktischen, mechanischen
Wissenschaften und Verwandtes vortheilhafte Wirkung. Es
regiert die Hände und Arme, also die ausführenden,
rechts und links auch verschieden polarisirten
Glieder des im Ganzen ja auf gleiche Weise polarisirten
menschlichen Körpers. So sind denn in der That die Dioskuren
auch astrologisch das wirkliche Bild der Zwillinge, wie man
ja solche Bilder (Gemmen) 2um Schutz anfertigte und bei
sich trug. So galten die Dioskuren auch als die Schutzgötter
der Reise, die Schiffer flehten zu ihnen um Hülfe
im Sturm; die Götter-Zwillinge eilen dann auf feurig
glänzenden Flügeln herbei. Dieser Mythe liegt aber
ebenfalls eine physikalische Beobachtung zu Grunde, denn
im hohen Sturm bemerkt man zuweilen auf den Schiffen
das St. Elmsfeuer als Vorbote, dass sich der Sturm legt.
Mit den Dioskuren aber war Merkur nahe befreundet, er
schenkte dem Castor, dem einen von ihnen, die schnellen
Kinder der Podarge, den Phlogeos und Harpagos, die Juno
schenkte dem Pollux (Polydeukes) den Xanthos und Kyrallos,
also Rosse. Denn das Zeichen der Zwillinge ist nämlich auch
das dritte Feld des Zodiakus und insofern dasjenige des Verkehrs
, der vielfachen Verbindungen und Beziehungen im
Allgemeinen; Merkur präsidirt über dasselbe, während der
Name des Zeichens nach von den Zwillingen herrührt, deren
Sternbild ehemals in diesem Zeichen stand. Weiter sind die
Dioskuren geboren auf dem Gipfel des Taygeios\ bekanntlich
erscheint das St. Elmsfeuer auf isolirten oder scharfen
Berggipfeln mit besonderer Stärke.
Gegenwärtig steht das Sternbild der Zwillinge tief im
Zeichen des Krebses und hat dort seine ihm im Alterthum
zugeschriebene Kraft natürlich verloren, denn diese Kraft
haftete nur an dem Z e i c h e n 1 Die Bedeutung und Symbolik
des Sternbildes ist also nicht so sehr alt und hing vermuthlich
mit einer Reform oder mit einer Anpassung oder Einführung
der Astrologie zur Zeit der antiken Kultur und mit der
Befestigung des antiken Mythenkreises zusammen.
Das Thema des Zusammenhanges von Astrologie und
Mythologie eingehend za behandeln ergäbe, wie man sieht,
in Verbindung mit den der Mythologie zu Grunde liegenden
Naturphänomenen sehr interessante Aufschlüsse. Es geht
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