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Die flüssige Luft als Revolutionär.
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Thätigkeit zu setzen ist. Dehnt man das Verfahren noch
etwas aus, so geht die flüssige Luft in gefrorene Luft über,
von der ein Stück in unserer Hand sich ähnlich anfühlen
würde, wie eine weissglühende Eisenstange. Wie himmelweit
verschieden dieses scheinbare Eis von dem gewöhnlichen
Eise ist, wird aus einigen Angaben deutlich genug hervorgehen
. Das gewöhnliche Eis ist 344 Grad Fahreoheit wärmer
als flüssige und gegen 400 Grad wärmer als gefrorene Luft,
Wenn man in den Kessel mit flüssiger Luft ein Stück
gewöhnliches Wassereis hineinwirft, so fängt der Inhalt wie
rasend zu sieden an. Setzt man eine Glasröhre voll flüssiger
Luft in ein Gefäss mit Croton-Wasser, so kocht die flüssige
Luft sofort über, während sich um die Röhre herum ebenso
schnell eine feste Eismasse bildet. Auch dieses Eis ist aber
kein gewöhnliches, sondern um viele Grade kälter als dieses
und hart wie Stahl, und doch ist es noch um Vieles wärmer
als flüssige Luft selbst, denn wenn man in die Vertiefung
im Eise, wo vorher die Glasröhre gesessen hatte, flüssige
Luft hineingoss, so fing sie in direkter Berührung mit dem
Eise zu kochen an wie über eine Stichflamme. Tripler nahm
nun einen Kohlenstift, wie er zu den elektrischen Bogenlampen
benutzt wird, bis zur Temperatur von 200 Grad über
Null erhitzt und in Rothgluth befindlich. In der Nähe der
sauerstoffhaltigen Eismasse leuchtete am Ende des Kohlenstabes
eine weisse Flamme auf, diese Erscheinung war eine
Folge des in dem Eis aufgespeicherten Sauerstoffes, Bei
diesem Versuche treffen die äussersten Gegensätze aufeinander
: das Eis und die flüssige Luft haben eine Temperatur
von 312 Grad F. unter Null, der rothglühende Kohlenstab
etwa 3000 Grad über Null, sodass Temperaturunterschiede
von 3312 Grad zusammenkommen. Trotzdem war die Eismasse
nach dem Versuch genau so fest wie vorher und nicht
zum kleinsten Theile geschmolzen Noch eine halbe Stunde
nachher, als einer aus der Zuhörerschaft das Eisstück
anfasste, hatte er in den Fingern das Gefühl wie von
schärfster Salpetersäure, so ausserordentlich kalt war die
Masse noch immer.
Die flüssige Luft hat, wenn sie durch eine Dampfwolke
hindurch aus der Maschine niedertropft, das Aussehen und
die Farbe von Milch. Tripler sammelt die Tropfen in eine
Form, wie sie bei der Herstellung von Speiseeis benutzt
wird. Dann nimmt er ein wirkliches Stück Speiseeis und
taucht es hinein. Der Effekt ist derselbe, als wenn man
ein Stück glühendes Eisen in Wasser steckt, in beiden Fällen
fängt die Flüssigkeit heftig an za sieden. Das in die flüssige
Luft gebrachte Speiseeis verliert seine „Wärme* so plötzlich,
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