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280 Psychische Studien. XXVL Jahrg. 5. Heft. (Mai 1899.)
dass es brüchig wird, als bestände es aus Sägespähnen. Im
Uebrigen ist die wunderbare Flüssigkeit, die in ihren
Wirkungen alle unsere Vorstellungen von Temperaturverhältnissen
zu Nichte macht, äusserlich von Wasser nicht
zu unterscheiden. Man kann auch die Hand auf
einen Augenblick ohne Besorgniss in diese
Temperatur von — 312 Grad tauchen, gerade
wie dies auchmit geschmolzenem Eisen möglich
ist, denn die Verdampfung der in der Haut
befindlichen Feuchtigkeit schützt die Hand
mit einer Dunsthülle vor der Verletzung. (In
dieser Thatsache dürfte noch eher eine „natürliche11
Erklärung der von uns im Januar- und Februar-Heft
berichteten Fälle von Feuerfestigkeit zu suchen sein,
als in den „Alaunbädern," in welchen jüngst die „Neuesten
Braunschweiger Nachrichten4* das Geheimniss der Fakire
entdeckt zu haben glaubten. Red.) Würde man die Hand
aber nicht sofort wieder herausziehen, sondern sie nur einige
Sekunden lang in die flüssige Luft halten, so würde sie
ebenso unfehlbar bis auf das Gelenk „abbrennen", wie in
einer Masse von geschmolzenem Eisen. Wenn man die Hand
aber sofort wieder herauszieht, so bleibt von der flüssigen
Luft nicht das Geringste haften, als ob sie Quecksilber
wäre. Man kann ein Fünflitermass flüssiger Luft über das
feinste Seidenkleid ausgiessen, ohne dass die geringste Spur
davon verbleibt. Viele von den Zuschauern erhielten einen
Schauer der dampfenden Flüssigkeit über ihre Kleider, ohne
dass sie etwas davon merkten. Nur wenn Jemand auf eine
kleine Wunde, etwa auf der Hand, einen Tropfen flüssiger
Luft erhielte, so würde es ihn brennen wie flüssiges Feuer
oder wie Schwefelsäure. Auch die entwickelten Dämpfe
haben, wie schon kurz erwähnt, ganz fremdartige Eigenschaften
; sie sind nicht heiss, sondern eiskalt, sie steigen
nicht in die Höhe, sondern fallen zu Boden.
Eine ganz verblüffende Wirkung hat die flüssige Luft
ferner als Sprengstoff. Zerstäubt man etwas flüssige Luft
auf Baumwolle, so explodirt diese, angezündet, in heftigster
Art. In gewöhnlicher Form dagegen ist die flüssige Luft
nicht im Geringsten gefährlich, man kann ihr sogar mit
einer brennenden Oigarre oder einem Streichholze nahe
kommen, ohne dass etwas Anderes geschieht, als dass der
brennende Gegenstand in einem starken und schönen Lichte
aufflammt. Mischt man die Luft aber in Alkohol oder
Terpentin oder versucht sie einzusperren, so offenbart sich
ihre Sprengkraft. Professor Tripler giesst eine kleine Menge
in eine lange Kupferröhre, in deren Mündung er mit einem
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