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284 Psychische Studien. XXVI. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1899.)
waren zufrieden, dass die Lavaströme des ewig dräuenden
Vesuvs sie nicht erreichen können. Da geschah etwas
Merkwürdiges, Schreckliches, Gruseliges, das ganz Fratta-
minore in Aufregung versetzte: im Hause des Arztes gingen
Geister um.
In der That müssen sich wunderliche Dinge in dem
alten, einstöckigen Palazzo des Doctor Senzio zugetragen
haben, denn die Mär davon hat sich wie ein Lauffeuer
nach Neapel verbreitet. Dort spricht man in allen Kreisen
von dem Spuk, in erster Reihe haben sich die Anhänger
des Spiritualismus seiner bemächtigt. Schaaren von Neu-
gierigen oder üeberzeugten fahren nach dem mehrere
Wagenstunden entfernten Flecken hinaus, bestaunen das
Haus, besuchen die Familie des Arztes und lassen sich alle
Einzelheiten erzählen; besonders aber wenden sie ihr
Interesse der Heldin des Tages, der hübschen, fünfzehnjährigen
Dienstmagd Lucia Moscato zu, welche die Geister
hauptsächlich zu ihrem Spielwerk und zu ihrer Zielscheibe
ausersehen zu haben scheinen. Ihr Bild ist von vielen Liebhaber
-Photographen aufgenommen worden. Die Spiritisten
halten sie für ein vorzügliches Medium und gedenken, sie
noch mehr dazu auszubilden. Eusapia Paladino's Ruhm, der
über alle Länder Europas und Amerikas gedrungen ist,
wird vielleicht künftig von dem der jungen Schönen aus
Frattaminore überstrahlt werden. Lucia Moscato ist in ihrem
Heimathsorte schon eine Berühmtheit. Fragt man die
dunkeläugigen Weiber des Dorfes, denen das wilde Lockengewirr
bis tief ins Gesicht hängt, nach ihr, so zeigen sie
mit geheimnissvoller Miene auf ein geschwärztes Haus, in
dem Luciah Eltern wohnen. Man gelangt durch einen Hof
in das zu ebener Erde gelegene, nur mit einem Riesenbett,
einem rohen Tisch und wenigen armseligen Möbeln ausgestattete
Zimmer des Maurers Moscato, der sich durchaus
nicht über den Besuch der vielen Menschen freut, die seine
Schwelle betreten. Desto mehr fühlt sich Luciah Mutter
geehrt. Nachdem sie eine Schaar ungezogener Buben, ihre
Söhne, zur Ordnung gebracht hat, empfängt sie die Ankömmlinge
. „Ihr wollt Lucia sehen V1 fragt sie mit Stolz
und deutet auf einen Winkel, wo zusammengekauert, die
Hände im Schoosse gefaltet, ein junges, schlankes Mädchen
sitzt. Es starrt mit grossen, sinnenden Augen vor sich hin
und scheint kaum seine Umgebung zu bemerken. Betrachtet
man das Köpfchen mit dem welligen, braunen Haar und
den feinen Zügen, so will es uns nicht recht zu der bäuerlichen
Kleidung passen. Lucia war wegen der sich wiederholenden
, Schrecken erregenden Erscheinungen, die sich an
s
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