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Der Geisterspuk von Frattaminore.
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ihre Fersen hefteten, von ihrem Dienstherrn Doctor Senzio
auf Anrathen des Bischofs entlassen worden, obgleich sie
sich als eine geweckte und fleissige Magd bewiesen hatte.
Seit ihrer Entlassung soll der Spuk itn Hause des Arztes
aufgehört haben. Als man sie befragte, ob sie auch bei den
Eltern von jenen unsichtbaren Mächten verfolgt würde,
wollte sie Anfangs nicht mit der Sprache heraus. „Erzähle,
was Du gehört und gesehen hast!" munterte sie die Mutter
auf. Und erröthend entschloss sie sich endlich dazu. Sie
berichtet, dass sie keine Ruhe habe und immer erschreckt
werde, besonders des Nachts. Bald blase Jemand über ihre
Stirn, so dass sie erwache, bald fühle sie sich am Kopfe
berührt oder höre eine hohle Stimme. Neulich soll diese
Stimme gesagt haben: „Hier sind fünfzehn Soldi!" und am
Morgen fand sie wirklich auf ihrem Kopfkissen das Geld.
„Auch vorletzte Nacht," setzt die Mutter hinzu, „hat Lucia
sie klopfen hören. Am nächsten Morgen waren alle Heiligenbilder
von der Wand genommen und auf das Bett gelegt!"
— „Ist das wahr?" fragt man das Mädchen, welches treuherzig
antwortet: „Es ist wahr." Als sie kürzlich von der
Beichte zurückkehrte, fand sich das kleine Bild der Madonna
von Pompeji nicht mehr an seinem Platze, sondern unter
der Wäsche vor. Diese merkwürdigen Erscheinungen weiss
sich Lucia selbst am wenigsten zu erklären.
Das alte, dem Arzte gehörige Barockgebäude hat zwei
Höfe, die durch ein Gitter von einander getrennt sind.
Sowohl von der vorderen, wie von der hinteren Seite müssen
sich die Geister Eingang ins Haus verschafft haben. Oftmals
hörte man die Glocke am grossen Thorweg schellen.
Wenn Lucia hinlief, vernahm sie jedes Mal eine Stimme:
«Wohnt der Doctor Senzio hier?", sah aber Niemand.
Derselbe Schabernack fand auch oben an der Treppenthür
statt. Der Doctor, seine Gattin, sein Bruder wie seine
Schwester, die alle in dem Hause wohnen, bestätigen es
der fragenden Menge. Zuweilen öffneten sie selber die Thür
oder schauten durch ein auf die Treppe führendes .Fenster,
konnten aber Niemand erblicken. Das Klingeln wiederholte
sich fast Tag für Tag, oft mehrmals an einem Tage. Doch
es blieb nicht dabei. Bald waren die Wein- und Oelfässer
von ihrem Platze auf dem Hofe fortgerückt, bald hörte
man ein Lärmen in den Schränken, oder die Thüren derselben
sprangen plötzlich auf. Heute fand man das Kaffeegeschirr
zerbrochen auf der Erde, morgen lag der werthvolle
Inhalt eines eisernen Kastens, zu dem nur der Hausherr
den Schlüssel besass, verstreut auf dem Boden; Talglichter
waren in die Ecke geworfen, die am Eiegel hängenden
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