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Schöleruaaon: Wissenschaft und Okkultismus. 341
tisch verbindenden Schlüsse ihr Gebäude weiter fortführen.
Verlassen wir diesen Weg, so verfallen wir unfehlbar
in das theologische und philosophische Gezänk der Gelehrten
über den Inhalt und Ursprung historisch übermittelter
Behauptungen. Wir würden abermals dieselbe Entzweiung
zwischen den verschiedenen Anhängern individueller Offenbarungen
erleben, wie sie uns die Geschichte in blutgetränkten
Zügen in den Religionskämpfen vergangener Zeiten überliefert
hat."
Als erste Bedingung gilt es in diesen Dingen für Jeden,
der sich ernstlich mit ihnen beschäftigt, eine prinzipielle
Unterscheidung zwischen den Worten unmöglich und
unerklärlich zu machen. Das geschieht aber, obwohl es
selbstverständlich erscheint, durchaus nicht immer in
hinreichend klarer Weise. Zwischen Unmöglichkeit und
Unerklärbarkeit liegt eben jene tiefe Kluft, welche von Alters
her fortschrittlichen Wahrheiten und neuen Entdeckungen
im Wege gestanden und ihren jeweiligen Verkündern das
Leben so sauer gemacht hat. Eines der wahrsten Worte,
die Karl du Prel ausgesprochen hat, ist ohne Zweifel dieses:
„Der häufige oder seltene Gebrauch des Wortes „unmöglich"
ist der sicherste Massstab, den der Sprecher selbst für die
Beurtheilung seiner geistigen Fähigkeiten
liefert. Je ungebildeter ein Mensch ist, desto mehr ist er
Apriorist; je gebildeter er ist, desto vorsichtiger ist er, und
zwar nicht blos im Glauben, sondern auch im Nichtglauben."
— Jeder Unbefangene sieht ohne Weiteres ein, dass der
Massstab der Unerklärlichkeit ein ganz unbrauchbarer and
ungerechtfertigter ist. Er wird sich lieber auf den Standpunkt
Kanf% stellen, welcher sich vorsichtiger Weise dahin
aussprach, dass er „wohl geneigt" sei, den Berichten über
unerklärliche Dinge einigen Glauben beizumessen, obzwar
er sich „vorbehalte", jeden der einzelnen Fälle in Zweifel
ziehen zu dürfen. Was in der Natur nach ihren uns
bekannten Gesetzen nicht stattfinden kann, das muss, wenn
es sich trotzdem ereignet, nach Gesetzen stattfinden, die
uns vorläufig eben unbekannt sind. Dass sie uns aber nicht
ewig unbekannt bleiben, sie zu ergründen vermittels wiederholter
Prüfung, das erscheint als die nächste Aufgabe einer
Wissenschaft, die der ehrenvollen Bezeichnung „aufgeklärt"
nicht verlustig gehen will. Unserem wissenschaftlichen Jahrhundert
kann nber, bei aller Anerkennung seiner grossartigen
Errungenschaften, der Vorv/urf des übertriebenen Skeptizismus
nicht erspart bleiben. Man wolle doch nicht vergessen, dass
ein prinzipieller und kritikloser Pyrrhonismus schliesslich in
Unsinn ausarten kann, in eine wissenschaftlich nie zu recht-
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