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Kraft: Vorkommnisse aus dem Leben eines früheren Seemannes. 379
überhaupt noch niemals solch eine wandernde Menagerie
gesehen hatte; sie ist eine Engländerin und war erst vor
Kurzem nach Deutschland gekommen. Der Mann hatte mich
engagiren wollen und während der Nacht, vielleicht im
Traume, lebhaft an mich gedacht; er hat sich dabei vorgestellt
, wie ich im Käfig arbeite, und meine Frau hat es
mitgeträumt, da sie für mich natürlich Interesse und
Besorgniss empfindet. Nach einer Woche wurde die Menagerie
aufgeschlagen, wir besuchten sie, und meine Frau behauptet,
so sei ihr auch Alles im Traum erschienen. —
Nur einmal habe ich eine wirkliche Vision gehabt,
und zwar auf ganz seltsame Weise, wie ich sie noch nie
weder gehört noch gelesen habe. Ich bekam gewissermassen
ein Stichwort dazu, wodurch mir erst zum Bewusstsein kam,
eine Vision gehabt zu haben, und dazu eine Art von rückwirkender
Vision. Es wäre mir sehr erwünscht, wenn Sie
mir auch diesen eigenartigen Fall definiren würden. Ich
gebe Ihnen einige Daten und Namen, damit Sie sich von
der Wahrheit, so weit es wenigstens die äusserlichen
Nebenumstände betrifft, überzeugen können. — Ich befand
mich als Leichtmatrose auf dem Bremer Vollschiff „Shake-
speere" — so wurde der Name des Schiffes geschrieben —
Kapitän Müller, welches am 18. Dezember 1889 im atlantischen
Ozean durch einen Orkan wrack gemacht wurde.
Wir mussten sechs Tage lang pumpen und wurden am
24. Dezember zwischen Island und Grönland von dem
Dampfer „Stag" aus North-Shields, Kapitän Munrow, gerettet
Gleich in der ersten Nacht war es, zwischen dem
18. und 19., früh um vier Uhr. Es wurde abwechselnd
wachenweise gepumpt, wir sollten eben von der Steuerbordwache
abgelöst werden. Ein Schiffsjunge, Karl Protz hiess
er, schlief vor Erschöpfung im Stehen an der Pumpe ein,
Hess die Kurbel los, das Schiff holt über, er muss sich
festhalten, greift in das Räderwerk, ein Bolzen dringt ihm
* durch die Hand, ein Matrose fängt den stürzenden Jungen
auf und trägt ihn zum Verbinden nach der Kajüte (noch
in derselben Nacht vergiftete sich der Kapitän Müller aus
Verzweiflung). Wir Uebrigen werden also von der anderen
Wache abgelöst, gehen in das Mannschaftslogis und legen
uns, nass wie wir sind, sofort zur Koje, unterhalten uns
aber noch, weil wir auf den verunglückten Jungen und auf
den Matrosen warten. Das Mannschaftslogis war ein Häuschen
mitten auf Deck. Die Kojen liefen an den Wänden
entlang, längs des Schiffes, immer zwei übereinander; nur
zwei machten eine Ausnahme, weiche separat rechts vom
Eingange lagen, auch übereinander, aber querschiff.
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