http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1899/0438
428 Psychische Studien. XXVI. Jahrg. 8. Heft. (August 1899.)
vielleicht dennoch in seiner ersten Kindheit die Ereignisse,
welche den Gegenstand seiner Vision bilden, hat erzählen
hören, wenn dies auch vollständig seinem Gedächtniss entschwunden
ist. Vielleicht bewirkte die Gegenwart des
Herrn Dompierre, den das Medium zum ersten Male bei einer
Sitzung sah, und welcher mit den in der Vision erblickten
Damen verwandt war. eine Art Auslösung in gewissen
Gehirnzellen des Mediums, wo eine Menge längst vergessener
Vorstellungen aufbewahrt war. Aus diesem Grunde habe
ich den vorstehenden Fall in der zweiten Kategorie aufgeführt
, als ein Phänomen, welches durch Bindrücke erklärt
werden kann, die das Medium in seinem bisherigen Leben
erfahren hat; diese Hypothese hebt jedoch keineswegs die
geradezu frappirende Wirkung des Phänomens auf, denn
darnach würde dem Gehirn des Mediums nicht nur eine
wunderbare Eigenschaft, das Vergangene aufzubewahren,
sondern auch eine unvergleichliche organisatorische Fähigkeit
zukommen, welche es ihm ermöglicht, in einem unentwirrbaren
Durcheinander von Erinnerungen mit grösster
Präzision diejenigen , welche sich auf die Persönlichkeiten
der Vision beziehen, herauszugreifen, wofern man nicht diese
organisatorische Thätigkeit in eine das Medium leitende
Intelligenz verlegen will. Was könnte dies für eine Intelligenz
sein? Schwerwiegende Frage, welche ich zu beantworten
nicht unternehmen möchte, aber welche fast alle Spiritisten
gelöst zu haben glauben. —
Diese organisatorische Begabung existirt jedenfalls in
einem sehr hohen Grade bei unserem Medium. Es hatte
oft zu gleicher Zeit zwei oder drei Visionen, mehrere Städte
darstellend, in welcher sich verschiedene Episoden aus dem
Leben ein und derselben Person abspielten, und zwar in
der Weise, dass das Medium, um ein Beispiel anzuführen,
Frau X . . . gleichzeitig als junges Mädchen in Paris, in
reiferem Alter in Rom und als bejahrte Frau in London sah.
3) Ich komme nun zu meiner dritten Kategorie, d. h. zu
Phänomenen, welche sich weder durch Lesen in den Gedanken
der Anwesenden, noch durch Eindrücke erklären
lassen, welche das Medium in seinem gewöhnlichen Leben
erhalten hat, und will sogleich ein frappirendes Beispiel
hierzu anführen.
Das Medium sieht uns wie in einem Morgennebel, hinter
welchem die Sonne strahlt und wird zu gleicher Zeit von
einem sehr starken Schwefelgeruch affieirt. Bei dem Fenster
bemerkt es, einem grossen Schattenbilde ähnlich, einen Mann,
neben dem sich drei Steinblöcke befinden, von denen der Eine,
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1899/0438