http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1899/0456
446 Psychische Studien. XXVI. Jahrg. 8. Heft. (August 1899.)
deren uns Grösseres und Kleineres als ein und dasselbe
erscheint, d. h. eine Ausdehnungsschätzung nicht mehr vorhanden
ist.
Das nothwendige Merkmal einer räumlichen Grösse ist
deren Zusammengesetztheit. Die Ausdrücke „lang", „breit",
„kurz0, „sehmal" u. s. w. schliessen eben ein „viel44 oder
„weniga in sich. Wir haben z. B. eine Linie vor uns, von
der wir sagen, sie sei so oder so lang oder kurz. Stellen
wir uns aber dieselbe, anstatt in kontinuirlicher" Aneinanderreihung
und Verschmelzung, in eine Anzahl unordentlich
zerstreuter (physiologischer) Punkte zerfallen vor, von denen
jeder so fein ist, dass wir nicht mehr bestimmen können,
ob wir noch feinere unterscheiden könnten: in solchem Falle
würden wir sagen, wir haben „viel" oder „wenig" Punkte
bezw. sinnlich untheilbare Einheiten vor uns. Die Elemente
der Wahrnehmung sind in beiden Fällen dieselben; nur die
Anordnung macht es, dass wir in ersterem Falle ein
besonderes Adjektiv gebrauchen.
Nun giebt es aber noch Wahrnehmungen anderer Art,
in denen es sich ebenfalls um ein Viel oder Wenig, um ein
Mehr oder Weniger handelt, die jedoch mit dem Räumlichen
nichts zu thun haben. Wenn wir z. B. von einem „heiss4*
oder ,,kalt", von „hell" oder „dunkel", von „schwer" oder
„leicht4 und dergl. reden, so handelt es sich dabei um
Grade, also auch um ein Viel oder Wenig der entsprechenden
Einwirkungen (was durch den Vergleich mit dem in diesem
Gebiete Einfachsten bestimmt wird); dieselben sind aber
von den räumlichen grundverschieden. Worin besteht nun
eigentlich der Unterschied zwischen beiden Arten, mit
anderen Worten, worin unterscheiden sich Extensiv und
Intensiv? Den Unterschied darin zu suchen, dass ersteres
sich auf Stoffliches, letzteres auf Kräfte bezieht, wäre nicht
zulässig. Das Dasein des Stoffes vermag sich uns ebenfalls
nur durch Kräfte zu offenbaren, und die nüchternste Analyse
kommt zu dem definitiven Ergebniss, dass das Wesen der
Materie im Grunde in verschiedenartigen Gruppirungen von
Kräften besteht (worauf man namentlich in neuerer Zeit
hinzuweisen begonnen hat). Wir müssen uns also nach
anderen Kriterien umsehen. Für das durchgreifendste halte
ich Folgendes:
Eine Temperatur-, Druck-, Licht-, Schmerzempfindung
u. s. w. kann bei deren Verschmelzung intensiver
(stärker) werden, ein und dasselbe räumlich grosse, fühlende
Territorium einnehmen, ja schon ein physiologischer Punkt
genügt dazu. Folglich setzt das Mehr des Intensiven ein
gegenseitiges Durchdringen der in Rede stehenden Agentien
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1899/0456