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v. Seeland: Zur Frage von dein Wesen des Raumes. 447
oder Kräfte voraus. Eine solche Durchdringung oder Verschmelzung
verschiedener Kräfte ist überhaupt nichts
Seltenes in der Natur. Nehmen wir z, B. einen Kreisel
oder eine aus gezogenem Laufe fliegende Kugel. Beide
haben zugleich eine geradlinige und eine Drehbewegung.
Zerstäuben wir einen solchen Gegenstand in Gedanken so
fein, wie nur immer denkbar, so werden wir doch nie eine
Theilung erreichen, bei der das eine Theilehen nur eine
Drehbewegung, das andere nur eine geradlinige hätte. Die
Verschmelzung ist eine vollständige. Kein Wunder also,
dass die höheren Grade eines und desselben Agens, dessen
niedere Grade einem gegebenen Organismus noch nicht
bekannt sind, zwar von anderen Agentien unterschieden
(z. B. Licht von Wärme), selber jedoch für ein Einfaches
gehalten werden können, da das Viel ihm hier keineswegs
in dem Eindruck selbst gegeben ist, sondern nur durch den
Vergleich mit anderen, früher dagewesenen, gleichnamigen
ermittelt werden kann. Ja, es kann ein auf uns wirkendes
Agens, welches nicht aus gleichnamigen, sondern nur ähnlichen
Elementen besteht, für ein einfaches gehalten werden.
So kann uns ein Akkord von Tönen als einfacher Ton erscheinen
, so wurde das weisse Licht für ein Einfaches
gehalten, bevor man die Erfahrungen von Spektrum und
Lichtbrechung gewann.
Schliesslich ist festzuhalten, dass die Einwirkungen oder
Kräfte, welche als nichträumliches Viel oder Wenig wahrgenommen
werden, dergestalt sich zu verschmelzen, sich zu
durchdringen vermögen, dass sie, obwohl ein Vielfaches,
doch auch als Einfaches betrachtet werden können....
Endlich können diejenigen Gruppirungen der Theile
eines Dinges, welche wir „Form" oder „Gestalt44 nennen,
nie in eins verschmelzen, denn sonst gäbe es eben keine
Gestalt. Kurz, so lange es ein Ausgedehntes giebt, muss
ein gewisser Theil der Eigenschaften oder Kräfte, die das
Sein des ausgedehnten Gegenstandes bedingen, so viel
Selbstständigkeit bewahren, dass von einer wirklichen
(inneren) Einigung oder Verschmelzung derselben keine
Rede sein kann. »Sowohl das „Intensive44 d. h. die Konzentration
und Verschmelzung von Kräften, als auch das
„Extensive" d. h. das Gesondert-Wirkende, äusserlich aber
Verbundene — sind Arten von Koexistenz, doch findet
zwischen beiden ein radikaler Unterschied statt....
Jegliche Kraft, sie sei vereinzelt oder vielfältig, ist stets
an ein Ausgedehntes, Oertliches und Gestalt Habendes
gebunden. So bleiben auch jene Kräfte, die uns als Beispiele
unräumlicher Koexistenzen dienen, in einem gewissen
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