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472 Psychische Studien. XXVI. Jahrg. 8. Heft. (August 1899.)
die „Revue blanche11 vor einiger Zeit unter dem Titel:
Die Psycho-Physiologie des Gebets. Der Aufsatz
wird eingeleitet durch den Bericht über einen Wunderdoctor,
der vor einigen Jahren in Schweden durch Händeauflegen
und Gebet vielen Kranken Heilung gebracht hat. Trotzdem
derartige, durch Magnetismus und Suggestion erklärliche
Kuren heutzutage allerorts von medizinischen Kapazitäten
durchgeführt werden, wurde der Mann als Schwindler verschrieen
und angefeindet, wohl weil das Hinzufügen des
Gebetes seiner Methode etwas Unwissenschaftliches, Geheimnissvolles
gab. Es lag jedoch nichts Geflissentliches in
diesem Vorgehen des Mannes, der, völlig ungebildet, keine
Rechenschaft über seine Heilkraft abzulegen vermochte.
Dennoch erklärte auch Strinäberg sich öffentlich gegen ihn,
weniger aus Ueberzeugung, als weil er als Arzt(?) sich das
schuldig zu sein glaubte, um nicht selbst verdächtig zu
werden. Kurze Zeit darauf ereignete es sich jedoch, dass
eins beiner Kinder des Nachts von Krämpfen befallen wurde.
Es schien zu sterben, und da alle Mittel versagten, gedrängt
durch das Flehen seiner Gattin, halb sinnlos vor Angst,
griff er selbst zu Händeauflegen und Beten. Seit 25 Jahren
war kein Gebet über seine Lippen gekommen, nun aber setzte
sich seine ganze Kraft und Verzweiflung in Inbrunst um,
und thatsächlich beruhigte sich das Kind unter der Berührung
und verfiel in einen rettenden tiefen Schlaf, aus
dem es gesund erwachte. Trotzdem sein aufgeklärter Geist
sich gegen die Annahme einer Wunderwirkung auflehnt, sah
Strindberg sich durch dieses persönliche Erlebniss veranlasst,
der Ergründung dieser psychophysiologischen Wirkung des
Gebetes nachzugehen und kommt nun zu folgendem Er-
gebniss: Der Glaube ist nichts anderes, als die bis zum
bewussten Wollen gesteigerte Konzentration des Hoffens
und Wünschens, und da der Wille die stärkste Bethätigung
des nervösen Impulses ist, so lässt er das grösste möglichste
Mass an Kraft aus, und dieses Fluidum ist es, das durch
die Berührung, von den Nerven des Einen auf die des
Anderen überströmt und die heilende Wirkung ausübt. Das
Gebet hat, wie die Erfahrung aller Völker lehrt, eine belebende
Kraft, denn die Hoffnung erhört zu werden, erhöht
den Muth, der Muth aber die Thatkraft, und so ist es nicht
nur eine moralische, sondern eine thatsächliche Hilfe, die
dem Gebet entströmt. Je schwächer und untergeordneter
ein Geschöpf ist, desto wirksamer ist verhältnissmässig sein
Gebet, da es durch dasselbe über sich hinausgehoben und
sein Wille in Thätigkeit gesetzt wird. Je stärker der Glaube,
desto wahrscheinlicher die Hilfe, sagt Strindberg und schliesst
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