http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1899/0506
496 Psychische Stadien. XXVI. Jahrg. 9. Heft. (September 1899.)
zunehmen, die man als typisch für die betreffende Gottheit
betrachtet.
Zuweilen will aber der Gott so recht nicht den Beschwörungen
folgen und schickt statt seiner einen Diener,
was dann prompt durch entsprechende Bewegungen des
Mediums angedeutet wird. Besteht der Fragende aber auf
seinem Willen und lässt dem Gotte keine Buhe, so muss
dieser, so ungern er es auch thun mag, doch schliesslich
dem Rufe folgen. Der Bittende tritt jetzt heran, drei
brennende Stäbe mit Weihrauch in den Händen, wirft sich
vor dem Medium auf die Kniee und bittet den Gott, sich
zu setzen. Dann erzählt er sein Anliegen, und es entspinnt
sich meist ein ganz gemüthlicher Dialog. Der Fragende
zerfliesst dabei ganz in Demuth, Dankbarkeit und Ehrerbietung
.
Zuweilen aber ist der Gott nicht gut gelaunt und
schilt den Bittsteller durch den Mund des Mediums ganz
gehörig aus, weil er ihn in unlauterer Absicht zu Hilfe
gerufen, und weigert sich ganz entschieden, die gewünschte
Auskunft zu geben. Betrübt schleicht der Fragende von
dannen, das Medium fällt in einen kurzen Schlaf, trinkt
nach dem Erwachen etwas Thee und ist bald wieder wohl
und munter. Diese Methode ist vorzüglich dann beliebt,
wenn man ein Heilmittel für eine Krankheit oder Glücksnummern
für eine Lotterie (sie) erfahren will.—
Aehnelt die soeben beschriebene Beschwörungsart nun
auch nur wenig der bei uns gebräuchlichen, so thut dies
dafür die folgende umso mehr. Hierbei handelt es sich
nämlich um eine Art Geisterschrift. Die hierzu verwendete
„Feder" besteht aus einem Stücke Holz aus Maulbeerbaum,
Weide oder Pfirsichbaum und hat die Gestalt eines
lateinischen V, an dessen Spitze ein kleines scharfes
Stückchen Holz eingeklemmt ist. Will nun Jemand einen
Gott oder Geist befragen, so giebt er seine Absichten
einer der Gesellschatten kund, welche sich zur Erleichterung
derartiger Konsultationen etabliert haben. Die Vorbereitungen
sind dieselben wie vorher, nur umfangreicher.
Vor das Bild des betreffenden Gottes wird ein Tisch gerückt
, auf welchem Lichte, Weihrauch, frische Blumen,
Thee und — falsches Geld gestellt werden. Diesem gegenüber
wird ein anderer Tisch aufgestellt, auf welchem ein
flacher, hölzerner Teller von vier Fuss Länge, zwei Fuss
Breite und etlichen Zoll Dicke liegt, der beinahe ganz mit
trockenem Sande gefüllt ist.
Nachdem Kerzen und Weihrauch angezündet, kniet
der Bittende nieder und verkündet seine Wünsche unter
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1899/0506