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502 Psyohische Studien. XXVI. Jahrg. 9. Heft. (September 1899.)
Kräfte. Dem Begrifie eines „Volumens" liegen unzählige
Wahrnehmungen und Beobachtungen des Wirklichen zu
Grunde, die sich dann zum allgemeinen, abstrakten Begriff
verflüchtigen, etwa wie der allgemeine Begriff „Mensch" auf
unzähligen Beobachtungen wirklicher, spezieller Menschen
fusst Ferner lässt sich der Begriff der Dichtigkeit, anstatt
denselben auf die „Theile" eines ohne jegliches Reale unmöglichen
Dinges zu beziehen, auf wirkliche Vorgänge im
Realen zurückführen. Die Stoffe lassen sich einigermassen
zusammendrücken, ferner haben gewisse chemische Verbindungen
, desgleichen Temperaturwechsel — Vergrösserung
oder Verkleinerung des Volumens zur Folge. Was geschieht
nun eigentlich unter solchen Umständen? Man glaubt von
altersher an einer Undurchdringlichkeit der Materie festhalten
zu müssen und sucht sich z. B. eine Verkleinerung
des Volumens bezw. Steigerung der Dichtigkeit dadurch zu
erklären, dass die „Atome" der Substanz sich nunmehr
näher rücken, d. h, die zwischen ihnen liegenden Raumtheile
dabei kleiner werden. Und doch steht die Annahme
einer absoluten Undurchdringlichkeit eigentlich
im Widerspruch mit den heutigen Ansichten
über das Wesen des Stoffes. Schon Hegel
und Schelling hielten die Materie für „eine Spannung relativ
geistiger Kräfte", und heute wird bekanntlich ohne weiteres
zugestanden, dass der ganzelnhalt unserer Stoff begriffe sich auf
Kräfte zurückführt, die unter sich in gewissen Beziehungen
stehen. Zwar ist der Begriff „Materie4* von diesem Standpunkte
aus noch nicht genügend analysirt und bearbeitet
worden, seine Basis jedoch steht fest Ist dem aber so, so
verliert die Undurchdringlichkeit ihren Boden, im Gegentheil,
die Möglichkeit eines gegenseitigen Durchdringens der den
Stoff simulirenden Kräfte wird zur Notwendigkeit. Mithin
besteht das Dichtwerden eines Stoffes am wahrscheinlichsten
in einer (obwohl immerhin partiellen) Verschmelzung oder
Verdichtung von Kräften, die bis dahin mehr oder weniger
isolirt wirkten; und je kleiner sein Umfang, je grösser sein
spezifisches Gewicht, desto mehr Kräfte werden sich an der
Durchdringung betheiligen. Ja, selbst wenn man die Materie
als etwas Selbstständiges stehen lässt und sich das „Dichtwerden
" als ein gegenseitiges Näherrücken der Theilchen,
als theilweise Ausfüllung der bis dahin blos von Aether
erfüllten Zwischenräume denkt, so muss ja auch in diesem
Falle die Zahl jener Theilchen, welche zu einander in engere
Beziehung treten, und deren Kräfte in dem Maasse des
Dichtwerdens auf einander wirken und sich durchdringen,
zunehmen. So oder so, ist also das Wesen des Dichter-
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