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526 Psychische Studien. XXVI. Jahrg. 9. Heft. (September 1899.)
mal jemand ermordet wurde, darf wohl füglich bezweifelt
werden und scheint auch von den Gaunern selbst nicht
recht geglaubt zu werden, da sie den ganzen Brauch im
weiteren Sinne immer nur dahin aufzufassen scheinen, dass
man auf diese Weise seinen Todfeinden ein schweres Unglück
auf den Hals zu wünschen vermag.
Interessanter übrigens als die Ceremonie des Todt-
betens selbst ist wohl das darin vorkommende, absonderliche
Zahlengebilde „Elfundneunzig", dem wir auch sonst noch
in der mannigfachsten Bedeutung in der Gaunerwelt begegnen
. Im spöttischen Sinne gebraucht, bedeutet es als
Datum den Nimmermehrstag. Als einfache Zahl gebraucht,
ist es gleichbedeutend mit 101, welche Zahlenangabe ungefähr
100 bedeutet, d. h. mindestens 90 und höchstens
III. Woher diese Zahlensymbolik stammt, vermag man
nicht zu deuten, obgleich sie auch noch bei anderen Zahlen
in der Gaunerwelt auffällig hervortritt. So bezeichnet man
in diesen Kreisen auch mit 1001 keine bestimmte Menge;
das „Tausend und eins" hat vielmehr die Bedeutung: mehr
als tausend, tausend und noch etwas darüber, unendlich
viel u. s. w.
Der Glaube an die glückliebe oder unheilvolle Bedeutung
von diesem oder jenem nimmt überhaupt in den abergläubischen
Vorstellungen der Verbrecher den breitesten
Raum ein. So bringt es z. B. Unglück und zieht unweigerlich
die Entdeckung nach sich, wenn der Dieb Gegenstände
entwendet, die für den Besitzer eine Art Liebhaberwerth
haben: theure Andenken etc. Als höchstes Werthobjekt
in ideeller Beziehung gelten dagegen Schlüssel. Diese in
der fremden Wohnung liegen zu lassen, wird wohl kein
echter Einbrecher jemals übers Herz bringen, und mögen
sie auch noch so werthlos für ihn sein, er wird sich nicht
dazu verstehen können, sie fortzuwerfen, und sollte es ihm
an Kopf und Kragen gehen, wenn man sie später einmal
bei ihm findet. „Wer die Schlüssel hat, dem gehört das
Haus!44 sagen sich diese Gesellen, und eine mächtige Schlüsselsammlung
— natürlich nur von gestohlenen Exemplaren,
denn andere haben für sie keinen Werth — zu besitzen,
ist eine Leidenschaft aller Gauner, denn: „Viel Schlüssel,
viel Ehre und Ansehen bei den Kameraden.11
Durch alle diese Vorstellungen zieht sich wie ein rother
Faden der Glaube, dass man bei genügender Vorsicht sieben
Verbrechen ungescheut begehen dürfe und dass es sich
eigentlich nur darum handele, den schädlichen Einfluss des
achten zu paralysiren. Da muss man nach dem einen Eezept
nach dem siebenten Coup sieben mal sieben Tage die Hände
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